"unbeschadet"

  • Bei der Auslegung einer Gemeindesatzung stellt sich die Frage, wie der Satzungsgeber das Wort "unbeschadet" gemeint haben könnte.

    Den Sachverhalt und damit den Satzungstext stark vereinfachend, gebe ich die maßgeblichen Normen wie folgt wieder:

    § 8. Auf den zur Lambertistraße und zur Clemensstraße gehörenden Grundstücken ist rückwärtig an der Grenze zum ***-Kanal mit Sichtschutzwänden ein Abstand von 3 m einzuhalten, wenn [... usw., es folgen Details].

    [...]

    § 11. Unbeschadet § 8 ist auf den zur Lambertistraße und zur Clemensstraße gehörenden Grundstücken rückwärtig an der Grenze zum ***-Kanal mit toten Einfriedungen aus Kunststoff ein Abstand von 5 m einzuhalten, wenn [... usw., es folgen Details].

    Mir geht es um das Wort "unbeschadet" in § 11.

    In dem betreffenden Fall handelt es sich um eine Sichtschutzwand aus Kunststoff. Es ist einhellige Ansicht aller beteiligten, dass diese sowohl unter § 8 (Sichtschutz) wie auch unter § 11 (tote Einfriedung aus Kunststoff) fällt, so dass das Problem ist, welche Norm vorgeht.

    Die einen argumentieren:

    Es gilt § 11, es sind 5 m einzuhalten, denn "unbeschadet" bedeutet hier: auch wenn § 8 anwendbar ist, ist wegen des Kunststoffs § 11 die speziellere Norm.

    Die anderen argumentieren:

    Es gilt § 8, es sind 3 m einzuhalten, denn "unbeschadet" in § 11 heißt, dass § 8 vorgeht.

    Was meint ihr?

  • Hmm, fraglich ist, was die Gemeinde einmal mit den Sichtschutzwänden und andererseits mit den toten Einfriedungen bezwecken will.

    Ich verstehe es so, dass mit den Sichtschutzwänden, die dichter am Gewässer stehen sollen, ein anderer Zweck verfolgt wird. Die Sichtschutzwände dienen sicherlich der Blickvermeidung auf z. B. Autobahn, Tiermastanlage, etc.

    Die toten Einfriedungen dienen wiederrum direkt dem jeweiligen Grundstückseigentümer als sichtbare Abmarkung seines Grundstücks.

    Eventuell soll ein 2 m Abstand bereitgehalten werden, um z. B. Pflegemaßnahmen am Graben (z. B. Entkrautung) vornehmen zu können.

    § 11 ist etwas umständlich formuliert. Ich würde bei einer Wertermittlung § 8 den Vorzug geben, da die Gemeinde etwas mit dem 2 m Streifen bezweckt.

  • Ich bitte höflichst den Sachverhalt zu beachten, wonach jeder Beteiligte davon ausgeht, dass nach dem Wortlaut beide Normen einschlägig sind, da es sich sowohl um tote Einfriedungen aus Kunststoff wie auch um Sichtschutzwände handelt.

    Daher bitte ich, die Diskussion nicht darauf zu verlagern, dass doch nur eine der beiden Normen passe. Es passen beide, es geht um ihr Verhältnis zueinander, das durch das Wort "unbeschadet" bestimmt wird.

    Mir geht es, wie in # 1 ausgeführt und in der Threadüberschrift angedeutet, um die Auslegung des Begriffs "unbeschadet".

    Wenn bei B steht "unbeschadet A", gilt dann A oder gilt dann B?

  • § 8. Auf den zur Lambertistraße und zur Clemensstraße gehörenden Grundstücken ist rückwärtig an der Grenze zum ***-Kanal mit Sichtschutzwänden ein Abstand von 3 m einzuhalten, wenn [... usw., es folgen Details].

    [...]

    § 11. Unbeschadet § 8 ist auf den zur Lambertistraße und zur Clemensstraße gehörenden Grundstücken rückwärtig an der Grenze zum ***-Kanal mit toten Einfriedungen aus Kunststoff ein Abstand von 5 m einzuhalten, wenn [... usw., es folgen Details].

    Es handelt sich hier um zwei verschiedene Regelungstatbestände die BEIDE gelten.

    Der Sichtschutzzaun hat genau wie die toten Einfriedungen seine Daseinsberechtigung.

    UNBESCHADET meint ganz einfach, dass § 11 neben § 8 existiert, ohne die Regelungstatbestände in § 8 durch die Regelungstatbestände in § 11 aufzuheben.

    UNBESCHADET = ohne den vorrangigen Paragraphen zu "mildern".

  • Für mich ist § 8 die allgemeine Norm. Wenn aber die Einfriedung aus diesem toten Kunststoff des § 11 besteht, gilt - obwohl sich der Eigentümer des Grundstückes ja eigentlich auf § 8 berufen könnte und deshalb trotz = unbeschadet dessen Geltung die Grenze von 5 m.
    Der Wahrig definiert unbeschadet als: ohne Schaden für, ohne zu schmälern.

    Es macht mir nichts aus, ein Vorurteil aufzugeben. Ich habe noch genügend andere.
    Fraue machet au Fähler, abber firs richtige Kaos braucha mer scho no d'Menner..

  • Sehe ich auch so.

    Die §§ 8 und 11 sind ursprünglich offensichtlich nicht dafür gedacht, dass etwas unter beide fällt.
    Wenn das aber wie hier der Fall ist, dann ist § 8 die allgemeinere und § 11 die speziellere Norm.


  • Es gilt § 11, es sind 5 m einzuhalten, denn "unbeschadet" bedeutet hier: auch wenn § 8 anwendbar ist, ist wegen des Kunststoffs § 11 die speziellere Norm.


    Das wäre auch meine Auslegung.

    Es stand alles in Büchern, die Alten lebten noch
    Wir haben nicht gelesen, nicht gesprochen, weggeschaut, uns verkrochen ...
    No!

  • Mir wäre es im Parteiinteresse recht, wenn § 11 gälte. In meinem Fall ist aber die erdrückende Mehrheit der Beteiligten (und der von mir befragten Kollegen) der Auffassung, es gelte § 8, und zwar mit der Begründung, die Nennung in § 11 mit dem Wort "unbeschadet" besage gerade, dass § 11 nicht die "Kraft" habe, den vorrangigen § 8 zu ersetzen, dieser müsse weitergelten.


    Die §§ 8 und 11 sind ursprünglich offensichtlich nicht dafür gedacht, dass etwas unter beide fällt.

    Darauf antwortet die Mehrheit: "Doch, sonst wäre § 8 nicht eigens in § 11 erwähnt."

  • Wenn § 11 nur mit der Maßgabe gilt, dass er § 8 "nicht schmälert", "unberührt lässt", dann kann der Abstand von 5 Metern nur für die Fälle in Betracht kommen, in denen § 8 (überhaupt) nicht zur Anwendung kommt. Bei Sichtschutzwänden also immer drei Meter, egal aus welchem Material sie hergestellt sind. Was ich insofern vom Ergebnis des geringeren Mindestabstandes irritierend finde, weil Kunststoff mutmaßlich als besonders "hässlich" bzw. störend empfunden werden wird.

  • § 439 Abs. 3 S. 1 BGB "Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung unbeschadet des § 275 Abs. 2 und 3 verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist."

    Heißt für mich: Bei unverhältnismäßigen Kosten kann die Nacherfüllungsart verweigert werden. Damit wird aber die Regelung des § 275 Abs. 2 und 3 BGB nicht ausgeschlossen, die kann zusätzlich zu der hier vorliegenden Regelung weiterhin angewendet werden.

    Letztlich tritt Regelung 2, die unbeschadet einer Regelung 1 gelten soll neben diese. Regelung 1 und 2 können also beide auf den Fall angewendet werden. Das Wort "unbeschadet" stellt also klar, das Nr. 1 nicht von Nr. 2 verdrängt wird.

  • Ohne die Antworten zu lesen, bin ich spontan auch von 5m, wie die meisten, ausgegangen. Nach Überlegung votiere ich für 3m. Das Bsp. von candide zur Auslegung im ähnlichen Fall überzeugt.

    Zum Ausgangsfall:

    § 8 Sichtschutzwände müssen 3m Abstand haben.

    Ohne den Zusatz "unbeschadet" heißt es in § 11, alle toten Einfriedungen aus Kunststoff, z.B. Zäune, also auch Sichtschutzwände, müssen 5m Abstand haben. Dies würde § 8 verletzten, also beschädigen, da hiernach Sichtschutzwände nur 3m Abstand haben müssen. Wenn § 8 aber unbeschadet bleiben soll, müssen Sichtschutzwände aus Kunststoff auch nur 3m Abstand haben.

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Ohne den Zusatz "unbeschadet" heißt es in § 11, alle toten Einfriedungen aus Kunststoff, z.B. Zäune, also auch Sichtschutzwände, müssen 5m Abstand haben. Dies würde § 8 verletzten, also beschädigen, da hiernach Sichtschutzwände nur 3m Abstand haben müssen. Wenn § 8 aber unbeschadet bleiben soll, müssen Sichtschutzwände aus Kunststoff auch nur 3m Abstand haben.

    Dann bräuchstest Du den § 11 nicht! Der regelt nur die Ausnahme von § 8:
    Grundsätzlich: 3 m.
    aber wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: ausnahmsweise 5 m.
    Und wenn der Eigentümer den Kunsstoffzaun wieder beseitigt, gilt der alte Abstand wieder, er muss nicht auf alle Ewigkeiten bei 5 m bleiben.

    Die Auslegung von Candide zieht nicht. In den zitierten Vorschriften werden zwei unterschiedliche Rechte geregelt, einmal der Schuldner, der bei zu großem Aufwand die Leistung verweigern kann, im anderen Fall der Gläubiger, der eine vom Schuldner gewählte Art der Nacherfüllung ablehnen kann.

    Es macht mir nichts aus, ein Vorurteil aufzugeben. Ich habe noch genügend andere.
    Fraue machet au Fähler, abber firs richtige Kaos braucha mer scho no d'Menner..

  • Dann bräuchstest Du den § 11 nicht! Der regelt nur die Ausnahme von § 8:
    Grundsätzlich: 3 m.
    aber wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: ausnahmsweise 5 m.



    Beide Vorschriften haben nach m.A. gerade kein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Dieses liegt nur dann vor, wenn der Regelungsbereich des § 11 bereits schon dem § 8 unterliegen würde, aber für bestimmte Fälle etwas anderes gelten soll. § 11 regelt nicht nur die Ausnahme von § 8.

    § 8 alle Sichtschutzwände müssen 3m Abstand haben.

    § 11 alle ! toten Einfriedungen aus Kunststoff müssen 5 m haben.

    § 11 umfasst daher auch z.B. Zäune aus Kunststoff, also Fälle die von § 8 gar nicht geregelt sind.
    § 8 umfasst auch Fälle, die von § 11 nicht geregelt sind, z.B. Sichtschutzwände aus Holz.

    Beide Vorschriften haben daher nur einen teilweisen überschneidenden Regelungsbereich und darüber hinaus noch weitere eigene.

    Dem Zusatz "unbeschadet" bedürfte es nicht, wenn Sichtschutzzäune aus Kunstoff 5m Abstand haben müssten, dies würde sich schon aus § 11 ergeben.

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Wenn § 8 gelten würde, wäre § 11 überflüssig im Sinne einer "Spezial-" Regelung für Kunststoffwände.

    Aber auch schon der Wortlaut "unbeschadet" spricht m. E. dafür, dass hier der § 11 für die betreffende Sichtschutzwand gilt.

  • Wenn § 8 gelten würde, wäre § 11 überflüssig im Sinne einer "Spezial-" Regelung für Kunststoffwände.



    Nein, es liegt keine Spezialregelung (also keinRegel.Ausn.-Verh.) vor, sondern eine Fallgestaltung, die unter beide Vorschriften fällt.

    Ohne Ergänzung stehen diese in gleichwertiger Konkurrenz, es ist nicht klar, was vorgeht.

    Wenn § 11 vorgeht, beschadet (beschädigt :gruebel:, wobei es ja dann lauten müsste, unbeschädigt...) dieser § 8, weil selbiger nicht mehr in diesem Fall wirkt, obwohl eigentlich von § 8 umfasst.

    Also soll § 11 den § 8 nicht beschaden (beschädigen), also wirksam und vorgehend bleiben lassen.

    (Valerianus sag bitte auch noch mal deine Meinung :) .

    Es ist immer besser, die Figuren des Gegners zu opfern.

    Savielly Tartakover

  • Aus dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit auf der Homepage des bmj Rdnr. 87

    Das Verhältnis mehrerer Regelungen zueinander kann ebenfalls sprachlich klar gefasst werden. Soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Regelung z. B. zur Kostenerhebung gegenüber anderen zurücktritt (Subsidiarität), so kann formuliert werden „ … soweit nicht in anderen Gesetzen Kostenregelungen enthalten sind“ oder deutlicher „Kostenregelungen anderer Gesetze gehen vor“. Die Formulierung kann auch stärker auf den konkreten Fall zugeschnitten werden: „… soweit nicht nach anderen Gesetzen Kosten erhoben werden“. Solche Bezugnahmen müssen hinreichend genau bestimmt sein.


    Sollen neben der jeweiligen Vorschrift weitere Rechtsnormen anwendbar sein, kann formuliert werden: „unbeschadet der Rechte Dritter“ oder „unbeschadet der Vorschriften über“.


    Beispiel:
    Die Genehmigung wird unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt.

    Das heißt, dass durch die verwaltungsbehördliche Erteilung der Genehmigung zivilrechtliche Abwehransprüche Dritter nicht ausgeschlossen werden.

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