Testamentsauslegung: Erbeinsetzung oder Vermächtnis?

  • Guten Tag, liebe Forumsmitglieder,
    vor mir liegt ein privatschriftliches Testament (vor ca. einem Jahr verfasst), das es auszulegen gilt, da bewusst oder unbewusst – nicht das gesamte Vermögen verteilt wird, sondern nur einen Teil davon.


    Der Erblasser hinterlässt


    - Miteigentum an einer Immobilie (gehört zur anderen Hälfte der Ehefrau, Zugewinngemeinschaft)
    - Zwei Wertpapierdepots
    - Anteile an geschlossen Immobilien- und Schiffsfonds, Wert nicht genau bezifferbar, da teilweise in Abwicklung


    Folgendes wurde im Testament verfasst:


    - Ehefrau EF soll seinen Anteil am Haus erhalten und 50t€ aus Wertpapieren
    - Tochter T soll 50t€ aus Wertpapieren erhalten
    - Sohn S soll 25t€ aus Wertpapieren erhalten
    - die beiden minderjährigen Enkelkinder E1 und E2 (jeweils ein Kind von T und S) sollen je 25t€ aus Wertpapieren erhalten.


    Es steht auch der der Satz dabei "die Beträge sind abhängig von den Entwicklungen an den Kapitalmärkten". Der Sinn davon will sich mir nicht erschließen.


    Die genannten Summen (insgesamt 175t€) decken etwa 70% des Werts der Wertpapierdepots am Todestag. Nicht berücksichtigt sind 30% der Depotwerte (also 75t€) und die geschlossenen Fonds, in welche wohl ursprünglich ca 60t€ investiert wurden.


    Handelt es sich bei den zugedachten Geldbeträgen um Vorausvermächtnisse, so dass sämtliche Reste nach gesetzlicher Erbfolge verteilt werden oder ist von einer Erbeinsetzung auszugehen, aus der sich Erbquoten ableiten lassen. Z.B. EF 5/10, T 2/10, S, E1 und E2 jeweils 1/10. dies hätte ja dann auch zur Folge, dass die minderjährigen Enkelkinder mit ins GB aufgenommen werden.


    Ich würde mich freuen, ihre Ansichten zu erfahren!

    Vielen Dank schonmal!
    Bayerin

  • Ich würde mir noch die Frage stellen, wie die Vermögensverhältnisse am Tag der Errichtung des Testamentes aussahen.
    Möglicherweise entspricht die Aufteilung genau dem Vermögen am Tag der Errichtung.
    Dies würde auch den Satz "die Beträge sind abhängig von den Entwicklungen an den Kapitalmärkten" erklären, da der Verstorbene ja davon ausgehen musste, dass die Kurse steigen bzw. fallen.

  • aus meiner Sicht ist die Ehefrau Alleinerbin, da davon auszugehen ist, daß er der Ehefrau mit dem Hausanteil auch seine Anteile am Inventar zuwenden wollte

  • Ich würde mir noch die Frage stellen, wie die Vermögensverhältnisse am Tag der Errichtung des Testamentes aussahen.
    Möglicherweise entspricht die Aufteilung genau dem Vermögen am Tag der Errichtung.
    Dies würde auch den Satz "die Beträge sind abhängig von den Entwicklungen an den Kapitalmärkten" erklären, da der Verstorbene ja davon ausgehen musste, dass die Kurse steigen bzw. fallen.

    Völlig zutreffend. Und deshalb hat der besagte Passus auch nichts "Geheimnisvolles" an sich.

  • Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass die Witwe Alleinerbin ist, weil sie der Erblasser als Einzige der Bedachten als einen "Rechtsnachfolger" ansah. Sie erklärt den hälftigen Grundbesitz des Erblassers und wesentliches Kapitalvermögen, so dass die übrigen Depotwerte im Verhältnis 2:2:1:1:1 als Vermächtnisse anzusehen sind (2/5 für die Ehefrau als Erbin, 2/5 für die Tochter und jeweils 1/5 für den und die beiden Enkel). Die Fonds "laufen" bei dieser Auslegung zugunsten der Ehefrau mit.

    Außerdem praktisch: Man erspart sich die Auflassung des Hälfteanteils.

  • Ich würde - wie in solchen Fällen immer - zunächst die Beteiligten zur Auslegung anhören.
    Wenn sich alle einig sind, dass der Erblasser die Ehefrau als Alleinerbin wollte - wunderbar.
    Falls nicht, wird es m.E. aber kniffelig. Wenn der Erblasser alle Bedachten gleich bezeichnet, in etwa: "A soll kriegen..., B soll kriegen..., C soll kriegen..." dürfte es schwer werden zu argumentieren, dass der Ehefrau als Alleinerbin eine stärkere rechtliche Stellung zukommen sollte, als den anderen, obwohl alle gleich bezeichnet wurden. Sich einfach den herauszupicken, der den größten Anteil kriegen soll und diesen als Alleinerben zu nehmen wäre wohl vermessen. Außerdem kommt hier erschwerend dazu, dass nicht alles verteilt wurde, was wieder für die gesetzliche Erbfolge sprechen könnte. Die Sache mit der Auflassung, die dann entbehrlich ist, ist zwar nett, aber m.E. nur bedingt für die Auslegung hilfreich, da sich der Verstorbene sicher darüber keine Gedanken gemacht hat, da er dann anders formuliert hätte. Es ist m.E. auch nicht Aufgabe des Nachlassgerichts hier immer auf Biegen und Brechen die vermeintlich billigste Lösung herbeizuführen. Wenn so ein besch...eidenes Testament vorliegt, sollen sich die Beteiligten beim Verstorbenen beschweren.

    Daher m.E. drei Möglichkeiten:
    Ehefrau Alleinerbin
    Gesetzliche Erbfolge
    Erbfolge entsprechend des zugewandten Wertes.

    Wenn sich die Beteiligten auf eine Auslegung einigen können, würde ich mich dem natürlich nicht verschließen...

  • Der genaue Wortlaut des Testaments wäre hilfreich. Wer soll die Beerdigungskosten tragen? Ehefrau als Alleinerbin ist für die Abwicklung sinnvoll, aber unfair, wenn sie die Beerdigung dann allein zahlt.

    Das ist halt so, wenn sie Alleinerbin ist. Im Übrigen dürfte es jenseits der Frage nach der eingetretenen Erbfolge der Regelfall sein, dass der Ehegatte die Beerdigung auch dann (alleine) zahlt, wenn er nicht Alleinerbe ist.


  • Wenn sich die Beteiligten auf eine Auslegung einigen können, würde ich mich dem natürlich nicht verschließen...


    :daumenrau erlebt man leider auch anders

    Es kommt halt darauf an, um welche Auslegung es sich handelt. Sie muss zumindest möglich und auch bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich sein, denn sonst bestimmt nicht mehr der Erblasser die Erbfolge, sondern die Erbprätendenten. Dies ist auch der Grund dafür, dass keine Bindung des Nachlassgerichts im Hinblick auf eine übereinstimmende Auslegung der Beteiligten besteht (auch nicht bei notariellem Auslegungsvertrag).


  • Wenn sich die Beteiligten auf eine Auslegung einigen können, würde ich mich dem natürlich nicht verschließen...


    :daumenrau erlebt man leider auch anders

    Es kommt halt darauf an, um welche Auslegung es sich handelt. Sie muss zumindest möglich und auch bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich sein, denn sonst bestimmt nicht mehr der Erblasser die Erbfolge, sondern die Erbprätendenten. Dies ist auch der Grund dafür, dass keine Bindung des Nachlassgerichts im Hinblick auf eine übereinstimmende Auslegung der Beteiligten besteht (auch nicht bei notariellem Auslegungsvertrag).

    Und wenn alle genannten Personen Erben sind? Quotenloser Erbschein? Wenn alle einverstanden sind?

  • Der quotenlose Erbschein versagt dort, wo es gerade von der Auslegung abhängt, ob alle in Betracht kommenden Personen Miterben sind.

    Im Übrigen habe ich mit zu dem "Unsinn" des quotenlosen Erbscheins in Rpfleger 2016, 694, 711 wie folgt geäußert:

    Ob für die Erteilung eines seit Jahrzehnten in praxi bedeutungslosen und nunmehr nach § 352a Abs. 2 FamFG gleichwohl zulässigen quotenlosen gemeinschaftlichen Erbscheins tatsächlich ein Bedürfnis besteht, wird sich erst noch erweisen müssen. Den Beteiligten ist von der Beantragung eines solchen Erbscheins jedenfalls dringend abzuraten, weil sich aus seiner Erteilung bislang nicht erörterte Folgeprobleme ergeben.[1] Denn wie soll man sich die Pfändung eines (jeweiligen?) Erbteils mit allen vollstreckungsrechtlichen Verwertungskonsequenzen vorstellen, wenn die Höhe des Erbteils nicht beziffert werden kann und wie soll eine (im Übrigen auch quotal mögliche) Erbteilsübertragung erfolgen und im Grundbuch verlautbart werden können, wenn gar nicht feststeht, worauf sich der Übertragungsakt im Hinblick auf die quotale Höhe des Erbteils materiell erstreckt?[2] Zudem kann ein quotenloser Erbschein ohnehin nicht erteilt werden, wenn nach Sachlage aufgrund unklarer Testierung des Erblassers und wegen unterschiedlicher Auslegungsmöglichkeiten nicht sicher ist, ob der betreffende Beteiligte überhaupt zum Miterben oder lediglich zum Vermächtnisnehmer berufen ist.[3] Angesichts dieser kaum überwindbaren Schwierigkeiten ist zu konstatieren, dass die Zulässigkeit eines quotenlosen Erbscheins voreilig bejaht und dabei versäumt wurde, über den Tellerrand des nachlassgerichtlichen Erbscheinsverfahrens hinauszublicken.


    [1] Nicht erörtert von Zimmermann ZEV 2015, 520.
    [2] Bislang hat sich aus den der Eintragung der Erbfolge oder der Erbteilsübertragung zugrunde liegenden Berichtigungsunterlagen (Erbschein oder notarielle Erbteilsübertragungsurkunde) stets die Höhe der Erbteile der einzelnen Miterben ergeben.
    [3] Zutreffend Otte ZEV 2015, 535, 536.

  • Es kommt halt darauf an, um welche Auslegung es sich handelt. Sie muss zumindest möglich und auch bis zu einem gewissen Grad wahrscheinlich sein, denn sonst bestimmt nicht mehr der Erblasser die Erbfolge, sondern die Erbprätendenten. Dies ist auch der Grund dafür, dass keine Bindung des Nachlassgerichts im Hinblick auf eine übereinstimmende Auslegung der Beteiligten besteht (auch nicht bei notariellem Auslegungsvertrag).

    Das ist natürlich klar. Wenn sich die Beteiligten im Ausgangsfall z.B. einigen würden, dass das Tierheim Erbe ist oder ein Enkelkind Alleinerbe, dann wäre das sicher nicht zu akzeptieren.
    Die oben angeführten Möglichkeiten sind m.E. aber durchaus im Bereich des Möglichen. Wenn ein Testament auslegungsbedürftig ist, sollte man aber als Nachlassgericht doch daran denken, dass man im Normalfall weder den Verstorbenen noch dessen Lebensumstände kannte. Insofern darf man den Angehörigen dann doch eine bessere Kenntnis des Erblasserwillens unterstellen. Wenn diese hier in trauter Einigkeit davon abweichen, dann muss der Erblasser eben in seinem nächsten Leben ein eindeutigeres Testament verfassen; außerdem sind die Beteiligten bei der Erbauseinandersetzung ohnehin frei, wenn sie sich einig sind...
    Dass auch in einem quotenlosen Erbschein nur Erben und keine Vermächtnisnehmer aufgeführt werden, sollte sich von selbst verstehen.

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