Gerichtliches Verfahren: Nachträgliche Beratungshilfe?

  • Hallo,

    ich brauche Denkanstöße zu folgendem Sachverhalt:

    Mit Datum vom 21.07.2017 stellt die Antragstellerin nachträglich über ihren Verfahrensbevollmächtigten den Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe für die Angelegenheit „Aufenthaltbestimmungsrecht für das Kind Max Mustermann, geb. 01.01.2015“. Der Antrag ging bei Gericht ein am 25.07.2017 und liegt mir als zuständiger Rechtspflegerin vor.

    Bereits am Nachmittag des 20.07.2017 stellte die Antragstellerin selbst ohne anwaltliche Vertretung auf der Rechtsantragsstelle des hiesigen Amtsgerichts den Antrag auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für Max Mustermann, geb. 01.01.2015. Der Antrag auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für Max Mustermann, geb. 01.01.2015, war damit seit dem 20.07.2017 bei meinem Gericht hier anhängig. Diesen Antrag hab ich im Rahmen meiner Zuständigkeit auf der Rechtsantragsstelle ebenfalls protokolliert. Ich kenne also die Antragstellerin, habe ausführlich mit ihr gesprochen.

    Bereits vor der Protokollierung informierte sich die Antragstellerin bei der für den Donnerstagvormittag des 20.07.2017 zuständigen Rechtspflegerin der Rechtsantragsstelle (eine andere als ich, die mich aber über den drohenden Antrag für den Nachmittag in Kenntnis setzte) über die Möglichkeiten entweder für die hier aufgeworfene Angelegenheit vorab Beratungshilfe zu beantragen oder verfahrenseinleitende Anträge der Dringlichkeit halber direkt selbst bei Gericht zu stellen, ohne Beteiligung eines Rechtsanwalts.

    Auch während der Protokollierung des Antrags auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes am Donnerstagnachmittag durch mich wurde die Grenze zwischen Beratungshilfe, Prozess- und Verfahrenkostenhilfe erläutert, ebenso wie der Unterschied zwischen „außergerichtlich“ und „gerichtlich“ und den eventuellen Ablauf eines Verfahrens auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts. So wurde beispielsweise unter Anderem über eine eventuelle Terminierung und die Mitnahme von Zeugen zu einem eventuellen Termin gesprochen. Die Antragstellerin fragte sogar, ob sie denn bereits am nächsten Tag mit dem Beschluss rechnen könne.

    Am Freitag, 21.07.2017, nahm die Antragstellerin, vor Eintritt der Rechtshängigkeit, den Antrag auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts über den in diesem Beratungshilfeverfahren auftretenden Verfahrensbevollmächtigten zurück.

    Die Beratungstätigkeit durch den Verfahrensbevollmächtigten erfolgte laut Antrag am 21.07.2017, also einen Tag nach Protokollierung des Antrags auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes. Im Antrag auf nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe vom 21.07.2017 führt der Verfahrensbevollmächtigte sogar aus, dass die Antragstellerin "versehentlich" (Zitat) den Antrag auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gestellt hätte, gewollt gewesen sei damals tatsächlich Beratungshilfe.

    Ich schwanke nun absolut hin und her, auch das Gespräch mit der Erinnerungs-Richterin hilft da nicht weiter.

    • Meiner eigentlichen Auffassung nach ist die nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe ausgeschlossen, da bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig war (§ 4 Abs. 6 BerHG und § 1 Abs. 1 BerHG). Und zwar unabhängig davon, dass der Antrag hier nur 12 Std. aufrecht gehalten war und keine Rechtshängigkeit eingetreten ist, da es hierauf lt. § 4 Abs. 6 BerHG nicht ankommt und auch unabhängig davon, dass dies angeblich "versehentlich" passiert ist. Es wurde so intensiv über den Ablauf des Verfahrens gesprochen und darüber, ob sie mit dem Kind endlich ausziehen kann, wenn das Aufenthaltbestimmungsrecht per Beschluss übertragen ist, dass es mir schwer fällt, zu glauben, dass sie tatsächlich nur auf Beratungshilfe hinaus wollte und ihr die 1,5 Std. während der Protokollierung und bei Unterzeichnung nicht klar war, dass sie hier schon den eigentlichen Antrag stellt. Insb. hat die andere Kollegin ihr am Telefon bereits vorab auch den Unterschied BerH/gerichtliches Verfahren/VKH/PKH erklärt. Die Kollegin hat am Telefon sogar mit ihr das Einkommen und Ausgaben überschlagen und gesagt, dass aufgrund der Vermögensverhältnisse Beratungshilfe nicht in Betracht kommt, sie könne den Antrag natürlich aber trotzdem stellen. Ich frage mich auch, ob ich überhaupt darauf abstellen muss, dass der Antrag angeblich "versehentlich" gestellt ist oder, ob ich plump nach § 1 Abs. 1 BerHG und § 4 Abs. 6 BerHG zurückweisen darf.


    • Nach Rücksprache mit der Erinnerungs-Richterin sehe ich für den Fall, dass eine Erinnerung gegen eine eventuelle Zurückweisung kommt, wenig Hoffnung, dass meine Zurückweisung aufrecht erhalten bleibt. Nach Schilderung des Sachverhalts war bzw. ist die Richterin der Meinung, dass ja nun aktuell kein Verfahren mehr läuft und offensichtlich ist, dass die Antragstellerin tatsächlich nicht die einstweilige Übertragung des Sorgerechts wollte, sondern die Bewilligung von Beratungshilfe begehrt hat. Natürlich mag das durchaus sein. Ich gebe zu, dass die Antragstellerin durchaus etwas zerstreut war. Keinesfalls in einem Maße, dass sie betreuungsbedürftig oder geschäftsunfähig gewesen ist, aber ausschließen, dass sie mir etwas anderes erzählt hat, als ihr der Rechtsanwalt per Telefon aufgegeben hat zu beantragen, kann ich nicht ausschließen. Das ist ja tatsächlich sogar häufiger so: Antragsteller kriegen nur die Hälfte mit bzw. verstehen nur die Hälfte von dem, was der gegenüber ihm erzählt und können das dann natürlich kaum zielführend weiter geben. Aber auch hier wieder die Frage: Kommt es für mich darauf überhaupt an? Dafür, dass sie nur Beratungshilfe wollte, spricht tatsächlich jedoch eine einzige Aussage, die sie während der Protokollierung hat fallen lassen, nämlich wörtlich "sie brauche eine Bescheinigung darüber, dass sie hier war", die habe ihr Anwalt ihr so mitgegeben, mit dem sie am 20.07.2017 einen Beratungstermin vereinbart hatte für eben den 21.07.2017. Aber um ehrlich zu sein, hat mich das nicht direkt/nicht weiter stutzig gemacht, weil wir - wie bereits dargestellt - so intensiv über den einstweiligen Rechtsschutz geredet haben, sie so explizite Fragen hierzu gestellt hat und am Schluss, ohne noch mal zu fragen, den Antrag unterzeichnet hat. Habe ich das in die Entscheidung mit einfließen zu lassen?

    Leider die einzige Fundstelle die ist speziell zu dieser Problematik gefunden habe ist Rdnr. 1125 in Dürbeck/Gottschalk, Prozess- Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 8. Auflage.

    Hat Jemand vielleicht noch Fundstellen oder Denkansätze?

  • Ich würde hier Beratungshilfe bewilligen, allerdings ausdrücklich beschränkt auf Beratung, also ohne Vertretung. Die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Antragstellung das gerichtliche Verfahren objektiv bereits anhängig war (egal, ob "versehentlich" oder "absichtlich"), steht aus meiner Sicht nicht entgegen, denn die Beratung kann - wie im vorliegenden Fall auch geschehen - zur Rücknahme des Antrags auf Durchführung des gerichtlichen Verfahrens führen. Auch wenn die Antragstellerin das gerichtliche Verfahren selbst eingeleitet hat, ist die Konstellation für mich vergleichbar mit dem Fall, dass der Rechtsuchende wissen möchte, ob er sich gegen eine bereits zugestellte Klage verteidigen oder gegen eine ergangene Entscheidung Rechtsmittel einlegen soll.

    "Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht." (Abraham Lincoln)

  • Ich würde hier Beratungshilfe bewilligen, allerdings ausdrücklich beschränkt auf Beratung, also ohne Vertretung. Die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Antragstellung das gerichtliche Verfahren objektiv bereits anhängig war (egal, ob "versehentlich" oder "absichtlich"), steht aus meiner Sicht nicht entgegen, denn die Beratung kann - wie im vorliegenden Fall auch geschehen - zur Rücknahme des Antrags auf Durchführung des gerichtlichen Verfahrens führen. Auch wenn die Antragstellerin das gerichtliche Verfahren selbst eingeleitet hat, ist die Konstellation für mich vergleichbar mit dem Fall, dass der Rechtsuchende wissen möchte, ob er sich gegen eine bereits zugestellte Klage verteidigen oder gegen eine ergangene Entscheidung Rechtsmittel einlegen soll.


    In den von dir genannten Fällen kann BerH gewährt werden.

    Die vorliegende Konstellation unterscheidet sich aus meiner Sicht jedoch deutlich davon. Im SV ist die Ast. nämlich auf der Aktivseite, sie hat die EV beantragt. Zuvor hätte sie sich erst beraten lassen können/sollen, ehe sie gerichtliche Schritte einleitet. Mit deren Anhängigmachung befand sie sich im gerichtlichen Verfahren und hätte ggf. PKH beantragen müssen.

    Die Bewilligung ist daher ausgeschlossen.

  • Ich stimme Frog vollumfänglich zu. Die Antragstellerin befand sich - subjektiv wie objektiv - bereits im gerichtlichen Verfahren, als der Auftrag an den Rechtsanwalt erteilt wurde. Der Weg für die Beratungshilfe ist damit zu.

    Ich denke auch nicht, dass sie sich auf ein "versehentliches" Stellen des Antrags berufen kann, insbesondere nachdem du selbst mit ihr den Antrag aufgenommen hattest und dir selbst einen Eindruck darüber machen konntest, was sie denn genau machen möchte.

    Nicht zuletzt war ihr Ziel ja auch eine Abänderung eines Teilbereiches der elterlichen Sorge (Aufenthaltsbestimmungsrecht).

    Selbst wenn die Problematik "gerichtliches Verfahren ja/nein" nicht gegeben wäre, hättest du damit folgende Probleme:

    - anderweitige Hilfemöglichkeit: Jugendamt, § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG. Eine Beratung durch dieses ist in Fragen der elterlichen Sorge immer erforderlich - und wird gemäß § 18 SGB VIII auch geleistet.

    - das Ziel kann im Rahmen der Beratungshilfe nicht erreicht werden. Eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts kann nur im gerichtlichen Verfahren erfolgen.
    (Ich bin auch sehr hart bei der Frage der "Beratungshilfe zur Prüfung der Erfolgsaussichten" und verneine das in den meisten Fällen - es gibt aber viele Meinungen, die meiner entgegenstehen)


    Ich sehe daher keine Möglichkeit zur Bewilligung.

    Wer "A" sagt, muss nicht auch "B" sagen. Er kann auch feststellen, dass "A" falsch war oder es auch noch "C" gibt.

    Wir Zauberer wissen über sowas Bescheid!

  • So sehe ich es auch auch. Ein "versehentliches Stellen" des Antrages halte ich nach der Schilderung der Antragsaufnahme für nicht gegeben. Ebenso ist nach Sachverhaltsdarstellung eine ausführliche Schilderung und Erläuterung von VKh/BerH und Antrasstellung erfolgt. Der Antrag wäre daher aus meinener Sicht sowohl wegen des gerichtlichen Verfahrens als auch wegen der vorrangigen anderen Hilfsmöglichkeit in Form des Jugendamts zurückzuweisen.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!