internationale Zuständigkeit Erbschein- Vorlagebeschluss Kammergericht Berlin 10.01.2

  • Hallo
    weiß jemand vielleicht, wann ungefähr mit einer Entscheidung über den Vorlagebeschluss Kammergericht Berlin 10.01.2017 6W 125/16 zur ausschließlichen internationalen Zuständigkeit eines nationalen Gerichts für den Erlass von nicht vom Europäischen Nachlasszeugnis ersetzten nationalen Nachlasszeugnissen zu rechnen ist?
    Ganz lieben Dank:-)

  • Die Verhandlung in der Rs. Oberle, C-20/17 ist für den 23. November geplannt. Ca 2-3 Monate danach wird der Generalanwalt Szpunar seine Schlussanträge verkünden, weitere ca. 2 Monate danach wird das Urteil kommen.

    Auf dieser Seite der Oder hat das Bezirksgericht Allenstein am 29. September 2017 in einem polnischen Erbscheinsverfahren als zweitinstanzliches Gericht Art. 4 für anwendbar erklärt (was in casu zur Verneinung der polnischen Zuständigkeit führte, solange die deutschen Gerichte sich nach Art. 6 ErbRVO nicht für unzuständig erklären; der Erblasser mit letztem Aufenthalt in Deutschland machte Rechtswahl zugunsten des polnischen Rechts, der deutsche Betreuer eines Beteiligten erhob Einwände gegen die Durchführung des Erbscheinsverfahrens in Polen). Nach Auffassung des Gerichts regeln Art. 4 ff. ErbRVO alle Nachlassverfahren, inklusive Testamentseröffnung, was sich eindeutig aus der Verordnung ergibt.
    Der EuGH wird solche Auslegung meiner Ansicht nach teilen.

  • Und die Beteiligten solange rechtlos stellen?

    Würde ich nicht machen, sondern die internationale Zuständigkeit bejahen und den beantragten Erbschein erteilen.

    Es liegt in der Natur der Dinge, dass man mitunter erst hinterher weiß, ob etwas so oder anders zu handhaben gewesen wäre. Das ist bei Entscheidungen des BVerfG nicht anders, wenn - wie häufig - in der Zwischenzeit tausende Gerichtsentscheidungen unter Anwendung des geltenden "einfachen" Rechts ergangen sind, weil das Gericht die betreffenden Normen eben nicht für verfassungswidrig hielt. Manchmal braucht es dazu nicht einmal eine Entscheidung des BVerfG, sondern es genügt sogar eine Entscheidung des BGH, der meinte, die GbR sei rechtsfähig, obwohl es die Gerichte 100 Jahre lang anders (und richtig) gehandhabt hatten.

  • Das dann - sofern die Problematik vom Fragesteller im zutreffenden Kontext geschildert wurde - aber nur im Ausland beantragt werden könnte. Das "rechtlos gestellt sein" bezieht sich demnach natürlich auf die Beschaffung eines Erbnachweises im Inland, denn dann wäre das deutsche Nachlassgericht auch für die Erteilung eines ENZ nicht international zuständig.

  • Aber das ist doch genau, was lt. Kammergericht die (Rechts-) Folge der EuErbVo (und somit der Einführung des ENZ) ist.

    Ein Nachlassgericht im Geltungsbereich der EuErbVO ist ausschließlich für das Nachlassverfahren zuständig.

    Und das ist, wenn der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatte, das eben Gericht am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts und zwar auch dann, wenn alle Erben in einem anderen Staat wohnen.

    Und somit gibt es eben kein inländisches Nachlassgericht, auch wenn im Inland Nachlass belegen ist.

    Und somit könnte mangels Zuständigkeit in Inland auch kein Erbnachweis erteilt werden.

    Der Erbe hat die Möglichkeit einen Erbnachweis zu erlangen, wenn auch nur im Ausland.

    Als "rechtlos" würde ich den Erben deshalb nicht bezeichnen.

  • Nur der guten Ordnung halber:

    Das KG hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte für die Erteilung von Erbscheinen bei letztem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers in einem anderen Mitgliedsstaat der EuErbVO in seiner Vorlageentscheidung nicht verneint, sondern bejaht (KG FamRZ 2017, 564). Dafür gibt es auch gute und überzeugende Gründe (zuletzt Kohler/Pintens FamRZ 2017, 1441, 1447), von welchen derjenige nicht der geringste erscheint, wonach die EuErbVO die Nachlassabwicklung für die Erben nicht erschweren, sondern erleichtern will. Es wäre das exakte Gegenteil der Fall, wenn die Erben sich ins Ausland bemühen müssten, um einen Erbnachweis zu erlangen, den sie (lediglich) im Inland benötigen.

    Ich räume aber ein, dass die Gefahr besteht, dass der EuGH die vorliegende Problematik - wie schon beim Vindikationslegat - unzutreffend beurteilt. Es liegt in der Natur der Dinge, dass die Gefahr unzutreffender Entscheidungen steigt, wenn den Entscheidern der unmittelbare Bezug zur Sache fehlt.

  • Diese „unzutreffende” Auffassung teilte auch das OLG Hamburg, 2 W 85/16, das die int. Zustaendigkeit in Deutschland ebenfalls verneint hat.
    Die Erleichterung fuer den Erben - aber auch fuer andere Teilnehmer der Rechtsverkehrs - besteht darin, dass es nur ein Nachlassverfahren und nur ein Nachlassgerichts gibt. Dies wird nicht erreicht, wenn jeder in der EU seine eigene Suppe kocht, Erbannahme bzw. -ausschlagungserklaerungen im Rahmen des nationalen Erbscheinsverfahrens entgegennimmt, Testamente eroeffnet oder (sei es auch gegenstaendlich beschraenkte) Erbscheine erteilt.

  • Das OLG Hamburg hat die Problematik nicht erkannt und sich daher mit der Streitfrage überhaupt nicht befasst. Sollte einem OLG eigentlich nicht passieren (OLG Hamburg Rpfleger 2017, 153 m. abl. Anm. Bestelmeyer).

    Es ist keine Erleichterung, sondern zweifelsohne ein Erschwernis, wenn ein im (jeweiligen) Inland benötigter Erbnachweis nur im (jeweiligen) Ausland beantragt und erteilt werden kann. Dies gilt umso mehr, als der nationale Erbnachweis aufgrund des in der EuErbVO manifestierten Grundsatzes der Nachlasseinheit im Hinblick auf die eingetretene Erbfolge überhaupt keinen anderen Inhalt als der im Ausland erteilte Erbnachweis hätte.

    Wenn ein Rentner seinen Lebensabend im Mallorca verbringt und dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, er aber deutscher Staatsangehöriger ist, alle seine Kinder in Deutschland leben und sich praktisch sein gesamtes Vermögen in Deutschland befindet (weil er in Mallorca lediglich gemietet hat), dann ist es - mit Verlaub - völliger Nonsens, wenn der Erbnachweis nur im Ausland erlangt werden kann. Wenn der Erblasser verheiratet war und seine Ehefrau ebenfalls in Mallorca lebt, ist es selbstverständlich eine begrüßenswerte Erleichterung, dass die Ehefrau - falls sie zur Erbin berufen ist und sie dies möchte - auch im Aufenthaltsland ein ENZ beantragen kann. Es macht aber keinen Sinn, diese Zuständigkeit zu einer ausschließlichen zu erheben und die Erteilung eines deutschen Erbscheins zu suspendieren, wenn die Witwe dann anlässlich der Überführung ihres Mannes und seiner Beerdigung in Deutschland einen Erbschein beantragen möchte - und sie das Nachlassgericht dann achselzuckend weiter schickt?

    Selten haben sich gesunder Menschenverstand und theoretische Erwägungen so widersprochen!

  • Haben wir das nicht schon sehr lange? Für all die betuchten Pensionäre, die vor 1914 ihren Lebensabend in Wiesbaden verbracht haben, mussten die Erben - egal ob sie in Bayern oder in Ostpreußen oder in Deutsch-Südwest saßen und egal wo es Nachlass gab - auch das hiesige Gericht bemühen.

  • Dieser (gewagte) Vergleich geht an der Sache vorbei.

    Die Problematik ist dadurch entstanden, dass die Staaten, die für die Erbfolge bislang an die Staatsangehörigkeit des Erblassers anknüpften, mittels der EuErbVO nunmehr einen Paradigmenwechsel zugunsten des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers vollzogen haben. Die absolut meisten "eigenen" Staatsangehörigen leben nun einmal im Inland und die absolute Minderheit, die im Ausland lebt, hat in aller Regel gleichwohl weiterhin Beziehungen zum Heimatstaat. Es ist als Erleichterung selbstverständlich zu begrüßen, dass es nun die Möglichkeit gibt, einen Erbnachweis im Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zu erhalten. Aber was macht es für einen Sinn, gleichzeitig auf die Vorteile zu verzichten, die damit verbunden sind, dass - alternativ - weiterhin auch ein nationaler Erbnachweis des Heimat- und Belegenheitsstaates möglich sein sollte. Die in Betracht kommenden Erbprätendenten werden in diesem und in jenem Verfahren beteiligt.

    Im Übrigen gilt das Ganze nicht nur aus deutscher Sicht, sondern auch aus der Sicht der übrigen Mitgliedsstaaten der EuErbVO. Wenn ein Ausländer mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verstirbt, stellt sich aus Sicht des Heimatstaates des Erblassers unter umgekehrten Vorzeichen die gleiche Frage.

  • Hierzu auch:

    Müller-Lukoschek: Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Erbfällen mit Auslandsbezug
    (RpflegerStudienhefte 2017, 109 ff.)

    "Es beseht also die Möglichkeit, dass der EuGH in dem vom deutschen Gesetzgeber eingeschlagenen Weg -Beibehaltung der autonomen Regelung zur internationalen Zuständigkeit bei der Erbscheinserteilung- einen Verstoß gegen höherrangiges Recht sieht und diesem Vorgehen eine Absage erteilt. § 105 FamFG müsste dann aufgehoben werden und im obigen Beispiel könnte kein deutscher Erbschein erteilt werden."

  • Natürlich ist das möglich.

    Gleichwohl wäre es nicht zutreffend.

    Da nun mit der EuErbVO Einiges anders läuft, als man sich das - aus deutscher Sicht - vorgestellt hat (zuerst das Vindikationslegat, jetzt vielleicht noch die internationale Zuständigkeit und dann vielleicht auch noch § 1371 BGB), stelle ich mir mitunter schon die Frage, wer mit welchen profunden Kenntnissen da eigentlich für die deutsche Seite verhandelt hat.

  • Da nun mit der EuErbVO Einiges anders läuft, als man sich das - aus deutscher Sicht - vorgestellt hat (zuerst das Vindikationslegat, jetzt vielleicht noch die internationale Zuständigkeit und dann vielleicht auch noch § 1371 BGB), stelle ich mir mitunter schon die Frage, wer mit welchen profunden Kenntnissen da eigentlich für die deutsche Seite verhandelt hat.

    Kurt Lechner, weiland Notar in Kaiserslautern, MdEP (CDU) a.D.

    ZErbR 07/2014, S. 188: "Der Autor ist Notar a.D. und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments, wo er als Berichterstatter der Erbrechtsverordnung deren Entstehungsgeschichte maßgeblich geprägt und begleitet hat."

    Also wieder mal die Notare schuld. Wie (fast) immer.

    "Allen ist alles egal, außer der Handyvertrag" - Kraftklub

  • Es ist schon interessant, wie unproblematisch Lechner die Dinge in seinem Aufsatz (insbesondere im Hinblick auf das Vindikationslegat und die internationale Zuständigkeit) hinstellt. Man sei sich über alles einig gewesen und es könne mehr oder weniger gar keine Frage sein, was das Zutreffende sei.

    Und jetzt fällt eine Bastion nach der anderen ...

  • Ich habe ihn mehrfach auf entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen erlebt und war schockiert.

    Bei einer hatte ich ihn sogar gefragt, ob er es nicht für problematisch hielte, dass die gerichtliche Zuständigkeit ohne Rücksicht auf die nationalen Regelungen geregelt sei. Es gibt ja außer dem Problem, welches gegenwärtig beim EuGH liegt, auch noch das Problem, dass sich Gerichte in verschiedenen Mitgliedsstaaten für zuständig halten, weil sie z.B. zu unterschiedlichen Antworten auf die Frage kommen, wo der letzte "gewöhnliche Aufenthalt" des Erblassers war - es gibt aber keine Möglichkeit, durch eine zentrale Instanz feststellen zu lassen, wer zuständig ist. Da kommen dann ggf. verschiedene Erben mit verschiedenen Erbnachweisen, in denen nach verschiedenen Rechtsordnungen verschiedene Rechtsfolgen genannt sind - und ich als Notar darf aber, wenn es sich dabei um ENZ'e handelt, diese nicht hinterfragen (Art. 69 Abs. 2 EUErbVO).

    Er war der Meinung, dass sich in der Arbeitsgruppe alle einig waren und das kein Problem sei. :wechlach:

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