Beitreibung von Forderungen aus Aufhebungsbescheiden

  • Hallo liebe Kollegen, hier noch mal zum Wochenende eine Frage, die immer häufiger auftaucht in letzter Zeit:

    Gegen die Antragsteller sind vor mehreren Jahren Aufhebungs- und Erstattungsbescheide von Jobcentern (o.ä.) ergangen, die nun vom Inkasso Service Recklinghausen beigetrieben werden.

    In der Forderungsaufstellung ist der Bescheid nebst Datum klar genannt.

    Beantragt wird dafür dann immer Beratungshilfe. Ich erläutere, dass dies die Beitreibung einer "titulierten" Forderung ist, und materiellrechtliche Einwände insoweit nicht mit der Beratungshilfe genutzt werden können.

    Die Standardantwort ist dann: Diesen Bescheid habe ich nieeeee erhalten. (Kein einziger meiner Antragsteller hat einen solchen jemals erhalten)
    Das ist natürlich reichlich dünn.


    Ich tendiere in den meisten Fällen (Ausnahmefälle z.B. mit (damals) minderjährigen Kindern außen vorgelassen) dazu, im Hinblick auf die Mutwilligkeit zu verlangen, die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" (vgl. §27 SGB X) selbst anzutreiben.

    Denn wie gesagt, die Forderung kommt einer Titulierung gleich und die Aussage: nie bekommen! ist natürlich recht lapidar.

    Wie handhabt ihr das so/ habt ihr auch solche Fälle?

    "Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet und uns daran erinnert jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen."

    Hier geht Ihre Spende nicht unter. Rette mit, wer kann.

    -Die Seenotretter, DGzRS-

  • Ich muss voranschicken, dass bei mir das Problem vor allem bei gerichtlichen Entscheidungen (insbesondere KFBs und Versäumnisurteilen) aufgetaucht ist. Mit Entscheidungen des Jobcenter hatte ich das Problem noch nicht. In meinen Fällen habe ich meist beim zuständigen Gericht nachgefragt und die haben mir in aller Regel die ZU Urkunde geschickt. Ein schlichtes "habe ich nie bekommen" glaube ich eher nicht (das ist die Behördenversion von "Der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen" :D). Wenn die mir nicht schlüssig erklären können warum die ZU Urkunde falsch sein soll (z.B. nachweisbar vorher umgezogen und Zustellung durch Einlegung in den Briefkasten), wird das bei mir über die Mutwilligkeit gelöst. Ob man das mit dem Jobcenter auch so machen kann und die Unterlagen rausrücken weiß ich nicht (telefonische Rückfragen in anderen Fällen haben aber schon funktioniert). Es bestünde für den Antragsteller aber ja auch die Möglichkeit ins Verfahren nach § 44 SGB X gehen, das würde nach der hM auch von der BerH nicht übernommen werden. Auf die Möglichkeit des § 44 SGB X würde ich hinweisen und dann ist der Antragsteller selbst am Zug.

  • materiellrechtliche Einwände insoweit nicht mit der Beratungshilfe genutzt werden können.

    Das ist für sich betrachtet aber nicht 100 % überzeugend, da es sich nicht um eine Titulierung in einem gerichtlichen Verfahren gehandelt hat.

    Die Standardantwort ist dann: Diesen Bescheid habe ich nieeeee erhalten. (Kein einziger meiner Antragsteller hat einen solchen jemals erhalten)
    Das ist natürlich reichlich dünn.

    Sicherlich wird "habe ich nie erhalten" überstrapaziert. Gleichwohl gelten hier die allgemeinen Bedingungen, dass das Zugangsrisiko für einen Brief beim Absender liegt.

    Ich tendiere in den meisten Fällen (Ausnahmefälle z.B. mit (damals) minderjährigen Kindern außen vorgelassen) dazu, im Hinblick auf die Mutwilligkeit zu verlangen, die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" (vgl. §27 SGB X) selbst anzutreiben.

    Das würde ich anders herüberbringen: Wiedereinsetzung setzt voraus, dass die Frist versäumt wurde, also überhaupt irgendwann zu laufen begonnen hat, was bei behaupteter nicht erfolgter Zustellung nie der Fall gewesen sein kann. Daher wäre meines Erachtens aufzugeben, im Wege der Eigenbemühungen zunächst einen Zustellungsnachweis für den Bescheid herbeizuschaffen.

  • Danke schon mal für die Hinweise.

    Insbesondere der letzte Hinweis von BREamter erscheint mir praktikabel.

    Die anderen Bedenken sind insoweit verständlich, deswegen habe ich ja selbst auch die Bauchschmerzen.

    Das Problem hier ist halt wirklich, insoweit auch der Hinweis an Corypheus, dass hier nicht per ZU zugestellt wird.
    Denn dann könnte ich es mir ruhigen Gewissens etwas einfacher machen. Da würde ich es nämlich ähnlich wie du handhaben.

    An den 44 hatte ich in der Konstellation gar nicht gedacht, obwohl ich den sonst oft genug "benutze". Sollte ich mal im Hinterkopf behalten.:daumenrau


    Das Problem grassiert hier wirklich. Pro Woche mehrere Antragsteller wegen dieser Problematik.
    Gut möglich, dass da in Recklinghausen was schief läuft/gelaufen ist, und nun Rückstände offenbart werden.

    Denn das plötzlich innerhalb weniger Wochen dutzende SGB II Empfänger mit jahrealten Forderungen konfrontiert werden macht schon ein bisschen stutzig

    "Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet und uns daran erinnert jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen."

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  • Wenn das regelmäßig jahrealte Forderungen sind, dürfte es häufig so sein, dass der ursprüngliche Bescheid auch schon vor Jahren ergangen ist und zugestellt wurde und bloß inzwischen nicht mehr da ist...

    Ich finde jedoch grundsätzlich, dass ein "ich hab da nie was bekommen" nicht ausreicht um ein rechtliches Problem zu haben.
    Es ist - mit sehr wenigen (intellektuell oder sprachlich begründeten) Ausnahmen - jedem Bürger möglich, bei Eingang eines Schreibens, das er nicht versteht ("huch, da will jemand Geld von mir, wieso denn das?") beim Absender nachzufragen. Wenn der Absender noch dazu eine Behörde im Landkreis ist, ist das umso einfacher.
    Die Antragsteller mögen also eine Kopie des "nie erhaltenen" Bescheides erbitten, zunächst für sich selbst schauen ob der nicht vielleicht doch gerechtfertigt sein könnte (soll ja angeblich vorkommen dass Behörden auch mal korrekt arbeiten...) und erst dann BerH beantragen, wenn sie dann immer noch finden, dass der Bescheid inhaltlich falsch ist.

  • Wenn das regelmäßig jahrealte Forderungen sind, dürfte es häufig so sein, dass der ursprüngliche Bescheid auch schon vor Jahren ergangen ist und zugestellt wurde und bloß inzwischen nicht mehr da ist...

    ...
    Die Antragsteller mögen also eine Kopie des "nie erhaltenen" Bescheides erbitten, zunächst für sich selbst schauen ob der nicht vielleicht doch gerechtfertigt sein könnte (soll ja angeblich vorkommen dass Behörden auch mal korrekt arbeiten...) und erst dann BerH beantragen, wenn sie dann immer noch finden, dass der Bescheid inhaltlich falsch ist.


    Ja, genauso ist es. Die Aufhebungsbescheide datieren regelmäßig aus den Jahren 2012 und 2013. Ich vermute nämlich -unter vorgehaltener Hand- auch, dass die Bescheide bei den Leuten einfach in "Vergessenheit" geraten.
    Deswegen winke ich auch häufig ab. Frei nach dem Motto: Finanzielles, kein rechtliches Problem.

    Und hatte vergessen zu erwähnen, dass ich bisher dann auch regelmäßig den Leuten aufgebe, eine Zweitschrift des Bescheids zu besorgen und selbstständig zu prüfen.


    Alles in Allem jedoch eine unbefriedigende Situation.
    Vom Gefühl her mag man Beratungshilfe kaum bewilligen, fraglich aber, ob man das in allen Einzelfällen auch rechtlich stichhaltig begründen kann.
    Sobald mir die Zweitschrift vorgelegt wird und daran rumgenölt wird, wird es haarig und ich bewillige.

    "Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet und uns daran erinnert jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen."

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  • Oh ja, das haben wir hier ganz, ganz oft...

    Ich gehe in der Regel davon aus, dass die Rückforderungsbescheide wirksam zugestellt wurden, denn eine Nachfrage bei unserem Jobcenter hat ergeben, dass die Leistungsempfänger verpflichtet sind, für das Jobcenter jederzeit postalisch erreichbar zu sein, sonst gibt's ganz schnell keine Leistungen mehr.
    Wenn da also ein Rückbrief zu einem Rückforderungsbescheid eingeht, haben die immer ganz schnell eine aktuelle Adresse und können dort zustellen.

    Also: so lange mir keine überzeugenden Gegenargumente vorgetragen werden, verweise ich die Leute auf Selbsthilfe (44 SGBX).

  • Oh ja, das haben wir hier ganz, ganz oft...

    Ich gehe in der Regel davon aus, dass die Rückforderungsbescheide wirksam zugestellt wurden, denn eine Nachfrage bei unserem Jobcenter hat ergeben, dass die Leistungsempfänger verpflichtet sind, für das Jobcenter jederzeit postalisch erreichbar zu sein, sonst gibt's ganz schnell keine Leistungen mehr.
    Wenn da also ein Rückbrief zu einem Rückforderungsbescheid eingeht, haben die immer ganz schnell eine aktuelle Adresse und können dort zustellen.

    Also: so lange mir keine überzeugenden Gegenargumente vorgetragen werden, verweise ich die Leute auf Selbsthilfe (44 SGBX).


    Interessant, und danke für den hilfreichen "Blick hinter die Kulissen" :daumenrau

    "Jemand hat mir mal gesagt, die Zeit würde uns wie ein Raubtier ein Leben lang verfolgen. Ich möchte viel lieber glauben, dass die Zeit unser Gefährte ist, der uns auf unserer Reise begleitet und uns daran erinnert jeden Moment zu genießen, denn er wird nicht wiederkommen."

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