§ 1365 BGB und Pflichtteilsergänzungsansprüche

  • Der Ehemann der Betreuten hat seinen Grundbesitz vor ca. 1 Jahr unentgeltlich an den Sohn übertragen. Der Grundbesitz stellte sein gesamtes Vermögen dar. Die Betreuerin (Berufsbetreuerin) hat damals der Übertragung zugestimmt, da der Betreuten ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt wird.

    Nun ist der Ehemann verstorben. Kann die Betreuerin trotz Zustimmung gem. § 1365 BGB Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen?
    Die Betreute ist gesetzliche Erbin zu 1/2. Es ist aber nur geringes Kontoguthaben vorhanden. Wert des damals übertragenen Grundbesitzes: ca. 160.000 €.

    Ich meine, dass die damalige Zustimmung keine Auswirkungen hat, oder?

  • Ich habe gerade ein Problem, warum der Pflichtteilsergänzungsanspruch überhaupt bestehen soll. Sie ist Miterbin zu 1/2 , also neben einem Kind, da liegt doch gar kein Pflichtteilsanspruch vor? Ich steh:gruebel: grad auf´m Schlauch?

  • Das eine schließt das andere nicht aus. Was wäre, wenn die Betreuerin damals die Zustimmung verweigert, das VG sie aber ersetzt hätte? Würde da einer vom Ausschluss des § 2335 BGB sprechen?

  • Die Angabe "sie ist gesetztliche Erbin zu 1/2" verstehe ich so, dass das die Quote wäre, die sie hätte, wenn sie nicht von einer letztwilligen Verfügung ausgeschlossen wäre (wovon ich ausgehe).

    "Der Staat ist vom kühlen, aber zuverlässigen Wächter zur Amme geworden. Dafür erdrückt er die Gesellschaft mit seiner zärtlichen Zuwendung."

  • Die Zustimmung kann schon deshalb keinen Einfluss auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch der Betreuten haben, weil ein umfassender oder auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch beschränkter Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs.2 BGB) nur in der Form des § 2348 BGB möglich wäre. Selbst wenn die Betreuerin die seinerzeitige Einwilligung der Betreuten i.S. des § 1365 BGB im damaligen notariellen Veräußerungsvertrag erklärt hätte, könnte hierin kein stillschweigender vertraglicher Verzicht erblickt werden, weil es insoweit jedenfalls an der erforderlichen vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung i.S. des § 2347 Abs.1 BGB fehlt.

    Da der Pflichtteilsergänzungsanspruch ein rechtlich selbständiger Anspruch ist, ist er auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Betreute gesetzliche Miterbin ist und daher überhaupt keinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch hat. Die Pflichtteilsergänzungsquote des überlebenden Ehegatten beläuft sich auf 1/4 ("großer" Pflichtteil), weil keine Fallgestaltung von § 1371 Abs.2 oder 3 BGB vorliegt.

  • Ich habe gerade ein Problem, warum der Pflichtteilsergänzungsanspruch überhaupt bestehen soll. Sie ist Miterbin zu 1/2 , also neben einem Kind, da liegt doch gar kein Pflichtteilsanspruch vor? Ich steh:gruebel: grad auf´m Schlauch?



    Das spielt keine Rolle. Als Erbin zu 1/2 erhält sie im aktuellen Fall die Hälfte von sozusagen nichts. Der Erbenstatus hindert nicht an der Geltendmachung des § 2335 BGB. Selbst wenn die Betreute die Erbschaft ausgeschlagen hätte, kann sie § 2325 geltend machen, vgl. Palandt 65. Aufl. Rd. Nrn. 3, 4 zu § 2325 BGB.

  • Nur zur Klarstellung. Die Betreute ist gesetzliche Erbin. Ein Testament liegt nicht vor. Nur Faktisch erbt sie (fast) nichts, deswegen § 2325 BGB.

    Danke, juris: An die VG bei Erb-, Pflichtteilsvverzicht habe ich jetzt gar nicht gedacht. Ich denke, dann ist die Sache klar: Die Betreuerin muss Ansprüche nach § 2325 BGB geltend machen.

    Das Problem wird jetzt die Umsetzung sein, da der beschenkte Sohn außer dem Grundbesitz auch nichts hat und die Betreute das Wohnrecht ausübt.

    Danke für die Antworten!

  • Wozu den Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen?

    Es genügt doch, ihn der Höhe nach festzustellen, eine Vereinbarung darüber zu treffen und ihn durch eine Grundschuld zu sichern. Später wird die Betreute vom Sohn beerbt und alles löst sich in Wohlgefallen auf.

  • "Geltend machen" war vielleicht falsch ausgedrückt.

    Die Idee mit Feststellung und Grundschuldeintragung hatte ich auch schon.

    Problem ist nur (oder vielleicht auch nicht): Es gibt noch 3 andere Kinder. Und das eine von diesen Kindern weiß noch von allem nichts. Denn es ist das von allen Seite ungeliebte Kind aus der ersten Ehe des Verstorbenen.

    Die Lösung mit der Grundschuld ist für mich die einzig praktkable. Werde das auf dieser Ebene mit der Betreuerin besprechen.

  • Auch dieses Stiefkind der Betreuten ist natürlich pflichtteilsergänzungsberechtigt, und zwar mit einer Quote von 1/16, nachdem der Erblasser verheiratet war und vier Kinder hinterließ.

    Also ganz praktisch: Dieses Stiefkind wird seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch selbstverständlich geltend machen und die Anwälte des Beschenkten (§ 2329 BGB) und des Stiefsohnes rechnen ihn für Dich aus.

  • Nachfrage zu #9 :

    Wie würde sich denn das bestellte Wohnrecht ( oder Wohnungsrecht ? ) auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch bzw. dessen Höhe auswirken ?

  • Gute Frage:
    Ich würde eine Anrechnung für vertretbar halten.

    Mir ist aber eine weitere Frage eingefallen:
    Wie beachte ich den Pflichtteilsergänzungsanspruch vergütungsrechtlich? Bisher wurde die Vergütung auis der Staatskasse gezahlt.
    Meine Antwort wäre:
    Zunächst unbeachtlich, weil nicht verwertbarer Anspruch. Bei Tod: Rückforderung gegen Erben! Vertretbar? Andere Meinungen?

  • Der gesetzliche Erbteil der Betroffenen beträgt 1/4 nebst 1/4 Zugewinnausgleich. Der Pflichtteil beläuft sich demnach 1/8 nebst 1/4 Zugewinnausgleich = 3/8.
    Das Wohnrecht mindert den Wert des Hauses sicherlich. Ich würde seinen Wert um den nach Sterbetafel ermittelten, abgezinsten Wert des Wohnrechtes mindern und die Betreuerin bitten, vom Rest 3/8 vom Sohn zu verlangen.
    Für mich kommt nur Zahlung in Betracht. Warum auf die Taube auf dem Dach schielen, wenn der Spatz schon in der Hand ist. Es müssen Rückforderungsansprüche geltend gemacht werden und es muss über die laufende Vergütung entschieden werden. Vergütungsdarlehen entsprechend SGB XII gibt es nicht.

  • Die Pflichtteils(ergänzungs)quote von 3/8 kann nicht zutreffend sein, sondern sie beläuft sich auf 1/4 (vgl. #5). Denn sie bemisst sich stets nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erbfalls (Bestelmeyer FamRZ 1999, 1468; Keller ZEV 2000, 269; Palandt/Edenhofer § 2325 RdNr.3). Und in diesem Zeitpunkt lebte der Erblasser im Güterstand der Zugewinngemeinschaft und der überlebende Ehegatte wurde gesetzlicher Erbe, sodass die Fallgestaltungen des § 1371 Abs.2 und 3 BGB nicht vorliegen. Damit bleibt es beim "großen" Pflichtteil des überlebenden Ehegatten. Ein "Wahlrecht", demgegenüber den kleinen Pflichtteil (1/8) zuzüglich des etwaigen Zugewinnausgleichs zu verlangen, besteht für den überlebenden Ehegatten nicht (Palandt/Brudermüller § 1371 RdNr.15 m.w.N.). Im übrigen könnte man den kleinen Pflichtteil (1/8) und den Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs.1 BGB (1/4) ohnehin nicht zusammenzählen. Der Zugewinnausgleichsanspruch wäre vielmehr immer real zu berechnen.

  • @ wwiw:
    Zahlen kann aber der Sohn nicht, denn außer Grundbesitz hat er nichts. Die Geltendmachung des Anspruches in letzter Konsequenz würde auf eine Versteigerung des Grundbesitzes hinauslaufen, die aufgrund des Wohnrechtes sicherlich auch erfolglos sein würde. Es stellt sich auch die Frage, ob dies im Sinne der Betreuten wäre. Den Wunsch der Betreuten sollte man nicht aus dem Augen verlieren.

    Das "Vermögen" der Betreuten halte ich auf unabsehbare Zeit für nicht verwertbar und deshalb nicht im Rahmen der Vergütung für einsetzbar (vgl. OLG Karlsruhe, Fundstelle habe ich gerade nicht parat).

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