Rechtspflegeranwärter in der Praxis

  • Ich arbeite an einem kleinen Gericht (6 Rechtspfleger-Pensen) und wir bekommen zum ersten Mal seit Jahren wieder Rechtspflegeranwärter.

    Wir alle haben Mischpensen. Ich bearbeite z. B. alle Beratungshilfesachen und wenn ich mein Pensum für diese Akten jeden Tag mache, bin ich mit den Akten ca. 90 Minuten beschäftigt.

    Unter diesem Hintergrund möchte ich wissen, wie die Ausbildung bei den anderen Kollegen gehandhabt wird.
    Wird tatsächlich nur das Ausbildungsgebiet besprochen, wozu die Anwärter eingeteilt sind, oder kann an ihnen auch andere Akten geben?

    Neben der Aktenbearbeitung: was macht ihr sonst noch mit den Anwärtern?
    Auf was legt ihr bei der Ausbildulng besonderen Wert?

    Über Informationen freut sich schon jetzt

    Birgit-Vanessa

  • Also ich bin an dieses Thema immer mit der Einstellung rangegangen, dass der Anwärter von heute, mein Kollege von morgen sein könnte. Deswegen war es mir wichtig, dass zum einen Wissen vermittelt wurde und die Anwärter auch lernen, selbständig zu arbeiten. Ich habe immer einen Überblick über zur Verfügung stehende Literatur gegeben, denn ich kann mich noch heute lebhaft erinnern, dass ich in der Ausbildung nicht gleich wusste, wo man was nachlesen kann.

    Wenn die Anwärter motiviert sind, kannst Du ihnen sicher auch Dinge geben, für die sie gerade nicht eingeteilt sind, was spricht dagegen?

  • Ich habe die Anwärter mit in den Arbeitsablauf einbezogen, da ich den Vorteil habe, dass ich einen zweiten PC im Zimmer habe.

    Ich habe aber auch stets darauf geachtet, dass sie Zeit zum Lernen für ihre Prüfungen haben.

  • Es spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, auch andere Themen zu besprechen, solange das jeweilige Ausbildungssachgebiet im Vordergrund steht.
    Für Beratungshilfe ist in Niedersachsen z.B. kein Ausbildungsabschnitt vorgesehen, ich habe das Thema deshalb im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften besprochen und auf Wunsch konnten die Anwärter dabei sein, wenn Antragsteller da waren.

    Neben der Aktenbearbeitung: was macht ihr sonst noch mit den Anwärtern?
    Auf was legt ihr bei der Ausbildulng besonderen Wert?


    Ansonsten kannst Du Probleme ansprechen, die in der kurzen Zeit, die sie bei Dir sind, nicht auftreten, ihnen aber in der beruflichen Praxis vermutlich begegnen werden (Anträge, die in dem jeweiligen Sachgebiet Schwierigkeiten bereiten können, schwieriges Publikum etc.)
    Hospitationen sind auch eine Möglichkeit. Nach der Prüfung hat man ja kaum die Gelegenheit, sich die Arbeit von Berufsbetreuern, Insolvenzverwaltern, dem Jugendamt usw. direkt anzusehen.

  • Wenn Zeit bleibt , bietet sich zudem an :

    a.) Einweisung in die gängigen EDV-Programme

    b.) die "Vermittlung" des Aufbaus von Beschlüssen u. Verfügungen, da
    es da am Anfang sicher am meisten hapert.

    Es gibt also genug zu tun , sodass die Anwärter dann auch in nachfolgenden Ausbildungsstationen davon profitieren ( sollten ).

  • An der HWR (ehemals FHVR) in Berlin wird die Meinung vertreten, dass Verfügungen - Beschlüsse usw. in den Aufgabenbereich der Gerichte fallen. Hier sollte wohl auch ein nicht unwesendlicher Teil der Zeit verwendet werden. Das ist aber sicher gut bei der selbstständigen Bearbeitung der Akten mit einzubinden. Schließlich können die Verfügungen schon der Akte mit beiliegen, wenn diese vom Anwärter zurückkommen. Und wenn dann über die Akte gesprochen wird, wird auch die Verfügung ausgewertet. Ich fand es immer toll, wenn die Rpfl. meine Verfügungen ohne weitere Veränderung unterschrieben haben (wenn sie gut waren :)). Zeigt schließlich in gewisser Weise dem Anwärter, dass er den Stoff und die Arbeit verstanden hat.

  • ...zumal denjenigen, die nicht gerade Aufstiegsbeamte sind, erstmal erklärt werden muss, was eine "Verfügung" ist und wie sie aussieht. Ich saß vor meiner allerersten Akte mit einem dicken Fragezeichen und sagte dann leise zu meiner Ausbilderin:
    "Ich müsste hier jetzt eine Zwischenverfügung schreiben - wie geht das denn, wie sieht das aus und was ist das eigentlich?" ;)

    Gut ist es auch (je nach Typ des Anwärters), diesen direkt in Kontakt mit dem Publikum kommen zu lassen. Die "wichtigen" Sachen (Abnahme e.V., Antrag schließen, Beratungshilfeschein unterschreiben) sind eh nur wirksam, wenn der Rpfl das macht. Unsere zukünftigen Kollegen sollten aber keine Berührungsängste mit dem Publikum haben ;)

  • Sehr wichtig ist mE auch, dem Anwärter gleich zu Beginn einen groben Überblick über alle Tätigkeiten des Arbeitsplatzes zu geben und hierbei noch nicht so sehr ins Detail zu gehen. Es gab nichts schlimmeres als an einen Ausbilder zu geraten, der einem sofort die Akten in die Hand gedrückt hat, mit dem Hinweis "Versuchen Sie das mal"...

  • Es gab nichts schlimmeres als an einen Ausbilder zu geraten, der einem sofort die Akten in die Hand gedrückt hat, mit dem Hinweis "Versuchen Sie das mal"...



    findest du? :gruebel: Mach ich eigentlich immer so. Natürlich nicht gleich einen Riesen Stapel, aber eine dicke Akte an der man schon den Verfahrensablauf sehen konnte und dann eben was zu erledigen ist.
    Wird doch niemandem der Kopf abgerissen wenn das dann in die Hose geht.

    Alles Gute im Leben ist entweder illegal, unmoralisch oder macht dick. (Murphys Gesetz)

  • Eben - erstmal sollten die Anwärter die Geschäftsabläufe verstehen. Gerade in Betreuungssachen kann es da schonmal unübersichtlich werden, wenn Richter und Rechtspfleger nebeneinander arbeiten...

  • Anregungen gibt es hier schon, darin noch ein weiterer Thread.

    Das Augenmerk sollte m.E. schon auf dem eigentlichen Ausbildungsabschnitt liegen, meist ergeben sich allein daraus schon Berührungspunkte mit anderen Sachgebieten, die noch nicht oder nie so richtig dran sind (z.B. auch mal was mit Auslandsberührung).
    Da kann man auch mal abschweifen.

  • Es gab nichts schlimmeres als an einen Ausbilder zu geraten, der einem sofort die Akten in die Hand gedrückt hat, mit dem Hinweis "Versuchen Sie das mal"...



    findest du? :gruebel: Mach ich eigentlich immer so. Natürlich nicht gleich einen Riesen Stapel, aber eine dicke Akte an der man schon den Verfahrensablauf sehen konnte und dann eben was zu erledigen ist.
    Wird doch niemandem der Kopf abgerissen wenn das dann in die Hose geht.



    Ja, eine Akte als Beispiel finde ich auch gut. Allerdings glaube ich, dass es dem Anwärter viel mehr bringt, die Akte zu lesen, wenn man ihm vorher erklärt hat, was der Arbeitsplatz beinhaltet. Dann liest sich die Akte mit viel mehr Wissen und Hintergrund... Bei so einem Start lief es zumindest von Anfang immer super :) Es ist ja auch okay, die Akte zuerst mit dem Anwärter von vorn bis hinten druchzugehen :) (die erste zumindest)!

  • Wenn Du wenig Aktenumlauf hast, könntest Du eventuell die Akten kurz vor der Ausbildung etwas sammeln (und die Geschäftsstelle wegen der daraus resultierenden Welle erklärend vorwarnen). Bei Beratungshilfe eilt ja nun echt nüschte.

    (Bleibenden Eindruck hinterlassen auch Ausbilder, die die drei einzigen Verfügungen, die man in sechs Wochen Ausbildung selbst schreiben darf, zerreißen, weil eigene Handschrift eben schöner ist. Dafür aber mehr als 2 Monate für ein Zeugnis benötigen.
    Oder welche, die als erstes vermitteln, Ausbildung sei eine unzumutbare Mehrbelastung und als nächstes unterrichten, dass man seine Schreibtischoberfläche am besten immer mit Gedöns so voll stelle, dass Bürger sich dort nicht ausbreiten können. Und man spätestens nach 2 Minuten aufstehen und zur Tür gehen sollte, damit die es dort nicht so gemütlich finden.
    Ganz groß war auch die sonnengegerbte Ausbilderin, die um halb 12 meinte: "Ich möchte jetzt meinen Joghurt essen. Sie können jetzt gehen.".)

  • Wenn Du wenig Aktenumlauf hast, könntest Du eventuell die Akten kurz vor der Ausbildung etwas sammeln (und die Geschäftsstelle wegen der daraus resultierenden Welle erklärend vorwarnen). Bei Beratungshilfe eilt ja nun echt nüschte.

    (Bleibenden Eindruck hinterlassen auch Ausbilder, die die drei einzigen Verfügungen, die man in sechs Wochen Ausbildung selbst schreiben darf, zerreißen, weil eigene Handschrift eben schöner ist. Dafür aber mehr als 2 Monate für ein Zeugnis benötigen.
    Oder welche, die als erstes vermitteln, Ausbildung sei eine unzumutbare Mehrbelastung und als nächstes unterrichten, dass man seine Schreibtischoberfläche am besten immer mit Gedöns so voll stelle, dass Bürger sich dort nicht ausbreiten können. Und man spätestens nach 2 Minuten aufstehen und zur Tür gehen sollte, damit die es dort nicht so gemütlich finden.
    Ganz groß war auch die sonnengegerbte Ausbilderin, die um halb 12 meinte: "Ich möchte jetzt meinen Joghurt essen. Sie können jetzt gehen.".)



    :wechlach: Hast du das alles selbst erlebt :D



  • (Bleibenden Eindruck hinterlassen auch Ausbilder, die die drei einzigen Verfügungen, die man in sechs Wochen Ausbildung selbst schreiben darf, zerreißen, weil eigene Handschrift eben schöner ist. Dafür aber mehr als 2 Monate für ein Zeugnis benötigen.
    Oder welche, die als erstes vermitteln, Ausbildung sei eine unzumutbare Mehrbelastung und als nächstes unterrichten, dass man seine Schreibtischoberfläche am besten immer mit Gedöns so voll stelle, dass Bürger sich dort nicht ausbreiten können. Und man spätestens nach 2 Minuten aufstehen und zur Tür gehen sollte, damit die es dort nicht so gemütlich finden.
    Ganz groß war auch die sonnengegerbte Ausbilderin, die um halb 12 meinte: "Ich möchte jetzt meinen Joghurt essen. Sie können jetzt gehen.".)



    Ja, diese Ausblider haben den ihnen Anvertrauten doch gleich das richtige Beamtenbild für die Zukunft mitgegeben.
    Mein persönliches Highlight war die Halbtagskraft, die wegen einer defekten Kühltruhe erst kurz vor Mittag im Büro aufschlug und auf meinen Hinweis, dass auf ihrem Schreibtisch eine Telefonnummer mit der dringenden Bitte um Rückruf liege antwortete, dass sie das wohl heute nicht mehr schaffen würde, sie hätte schließlich gleich Feierabend. :eek:

    Aber zum Thema: Akten sammeln finde ich gut. Und wenn man selbst nicht so viel Publikum hat, würde ich die Kollegen bitten Bescheid zu geben, wenn bei denen Publikum aufschlägt. Das bietet sich besondern bei der RASt von kleineren Gerichten an, wo sich die Anträge ja normalerweise nicht so häufen.

    Komplizierte Probleme heißen komplizierte Probleme, weil es keine einfachen Lösungen für sie gibt, sonst hießen sie einfache Probleme.

    - Frank Nägele, KStA v. 25.3.17 -

  • Schön fand ich auch meinen Ausbilder im Verwaltungsrecht, der mich stundenlang alleine ohne wirkliche Arbeitsaufgabe sitzen ließ. Der musste nämlich frühstücken, Mittag essen und jede Menge Kaffee trinken. Und 15.30 Uhr hat er sich aufgeregt, dass er Überstunden machen muss.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Wenn ich einen Anwärter anvertraut bekomme, versuche ich mir vorzustellen, es könnte mein eigener Sohn (oder Tochter) sein und behandle ihn/sie auch entsprechend.
    Ich arbeite normal das weiter, was ich sonst auch gerade tun würde, lasse aber die Arbeit (wenns irgendwie geht) durch den Anwärter - unter meiner Leitung - ausführen. Ich sitze dann daneben und gebe laufend Anweisungen.
    Das nervt zwar ein bißchen, aber ist für die Anwärter eine super Ausbildung. Die Resonanz der Anwärter war entsprechend.

  • Wenn ich einen Anwärter anvertraut bekomme, versuche ich mir vorzustellen, es könnte mein eigener Sohn (oder Tochter) sein und behandle ihn/sie auch entsprechend.
    Ich arbeite normal das weiter, was ich sonst auch gerade tun würde, lasse aber die Arbeit (wenns irgendwie geht) durch den Anwärter - unter meiner Leitung - ausführen. Ich sitze dann daneben und gebe laufend Anweisungen.
    Das nervt zwar ein bißchen, aber ist für die Anwärter eine super Ausbildung. Die Resonanz der Anwärter war entsprechend.



    :abklatsch
    ... und das Publikum auf der RASt dürfen die auch verarzten!

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