Diskussionen zum Rechtsprechungs-Thread - Familie/Vormundschaft

  • OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.03.2010, Az. 7 AR 361/10, FamRZ 2010, 1760:

    Für die Entscheidung über den Vergütungsantrag des Vormunds ist das Familiengericht des Amtsgerichts funktionell zuständig, wenn der Antrag nach dem 31.08.2009 gestellt wurde.



    Dass für die Antwort auf die entschiedene Frage ein OLG bemüht werden musste, ist m. E. ein Unding. Kann man die hoch bezahlten Herren nicht mit schwierigeren Fragen beschäftigen?

  • Der Weg führt nun mal unmittelbar vom AG zum OLG, jedenfalls in Familiensachen. Und wie sieht es mit der Auslagenpauschale von 323 € aus, ist eigentlich keine "Entscheidung" des Gerichts, sondern nur eine Anweisung, wie man etwa Zeugen entschädigt. Hierfür sollte dann doch wohl noch das alte Vormundschaftsgericht zuständig sein !?

  • Das ist klar, Andy K.
    Aber das OLG hat eine andere Frage entschieden. Es hatte zu entscheiden, wer in den heiligen Hallen des AG für die Entscheidung über den Vergütungsantrag zuständig war: Das VII-Gericht oder das F-Gericht. Dass da beim AG zumindest einer nicht in der Lage war, sich an Hand Art. 111 Reformgesetz kundig zu machen, ist das Traurige.

  • Ist zwar interessant; aber sollten Diskussionen bei den Rechtsprechungshinweisen nicht gererell vermieden werden vgl. #1 ?.


    Stimmt! Daher Beiträge abgespalten.

    Ulf, Admin

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

  • Das ist klar, Andy K.
    Aber das OLG hat eine andere Frage entschieden. Es hatte zu entscheiden, wer in den heiligen Hallen des AG für die Entscheidung über den Vergütungsantrag zuständig war: Das VII-Gericht oder das F-Gericht. Dass da beim AG zumindest einer nicht in der Lage war, sich an Hand Art. 111 Reformgesetz kundig zu machen, ist das Traurige.



    Ganz so eindeutig ist der Art. 111 FGG-RG bzw. die Mitteilungen des BMJ die dazu ergangen sind ja nicht unbedingt.
    obman das ganze nicht einfacher lösen könnte ist sicher eine andere frage (bekomme als familiengericht auch desöfteren Verfahren lediglich mit Jahresbericht/Vergütung rübergeschoben, die ich dann auch "einfach" übernehme (cromwell möge dies überlesen ;)). . .

  • OLG Celle, Beschluss vom 04.05.2011, Az. 10 UF 78/11:

    Leitsatz:

    Für die Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, ist grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen, da - unabhängig vom Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes im Sinne von §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 BGB - der Beschluss dem Kind gemäß § 41 Abs. 3 FamFG bekannt zu geben ist und die Bekanntgabe an das Kind nicht durch Zustellung an die Eltern bzw. den sorgeberechtigten Elternteil erfolgen kann.

    Beschluss

    In der Familiensache
    betreffend die elterliche Sorge für das beteiligte Kind J. L. H., geb. am ….. 2004,

    weitere Beteiligte:

    1. Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Jugend und Familie,
    Ergänzungspflegerin und Beschwerdeführerin,
    2. C. C. H.,
    Kindesmutter,

    hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Ergänzungspflegerin vom 5. April 2011 gegen den Ergänzungspflegschaft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 15. März 2011 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht H. und die Richterin am Amtsgericht C. am 4. Mai 2011 beschlossen:

    I. Die Beschwerde der Ergänzungspflegerin wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
    II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
    III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

    Gründe:

    I.
    Das betroffene Kind J. L. H., geboren am ….. 2004, ist aus einer Verbindung seiner Mutter mit Herrn A. V., geboren am …. in …. , verstorben am …. in …. , hervorgegangen. Die Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet.

    Aufgrund der Anordnung in seinem Testament ist die Kindesmutter Alleinerbin nach dem verstorbenen Kindesvater geworden. Sie hat die Erbschaft am 13. Dezember 2010 beim Amtsgericht - Nachlassgericht - Hannover (Az.: 50 VI 5113/10) ausgeschlagen. Die Erbschaft ist daraufhin dem betroffenen Kind angefallen. Die Kindesmutter hat deshalb am 13. Dezember 2010 die Erbschaft auch als gesetzliche Vertreterin des betroffenen Kindes ausgeschlagen und die Genehmigung der Erbschaftsausschlagung beim zuständigen Familiengericht beantragt.

    Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat am 15. März 2011 für das betroffene Kind Ergänzungspflegschaft angeordnet und die Landeshauptstadt Hannover zum Ergänzungspfleger bestellt, wobei der Beschluss auf den Antrag der Kindesmutter vom 24. März 2011 hinsichtlich des Datums der Erbausschlagung sowie des Vornamens des betroffenen Kindes durch den Beschluss vom 25. März 2011 berichtigt worden ist. Als Wirkungskreis der Ergänzungspflegerin ist die Entgegennahme der Zustellung des noch zu erlassenden Beschlusses über die Genehmigung der Erbausschlagung vom 13. Dezember 2010 gegenüber dem zuständigen Amtsgericht - Nachlassgericht - Hannover (50 VI 5113/10) und die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bzw. Einlegung eines Rechtsmittels gegen diesen Beschluss für den Minderjährigen bestimmt worden.

    Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ergänzungspflegerin, die geltend macht, dass das Kind auch im Wirkungskreis der Ergänzungspflegschaft von der sorgeberechtigten Mutter vertreten werden könne.

    II.
    Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form und fristgerecht eingelegt. sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

    Der angefochtene Beschluss ist zwar formell fehlerhaft, weil das Amtsgericht entgegen § 160 Abs. 2 S. 1 FamFG die Kindesmutter nicht angehört hat, denn sie hat vor Erlass des Beschlusses keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Bei der Bestellung eines Ergänzungspflegers handelt es sich nach § 151 Nr. 5 FamFG um eine Kindschaftssache, so dass die Eltern grundsätzlich anzuhören sind. Anderenfalls wird der in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz normierte Anspruch der Eltern auf rechtliches Gehör nicht beachtet. Dieser Verfahrensfehler ist aber durch die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Kindesmutter und deren Berichtigungsantrag vom 24. März 2011 geheilt worden.

    Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ergänzungspflegschaft angeordnet.

    Nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, wer unter elterlicher Sorge steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind, einen Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder - wie hier - eines allein sorgeberechtigten Elternteils ist gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB insbesondere gegeben, wenn das Interesse des betroffenen Kindes zu dem Interesse der Kindesmutter in erheblichem Gegensatz steht.

    Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein allein sorgeberechtigter Elternteil könne das Kind grundsätzlich nicht in einem Erbausschlagungsverfahren vertreten, weil das Interesse des Kindes zu demjenigen der Mutter in erheblichem Gegensatz stehe, so dass die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig sei (vgl. KG Berlin - Beschluss vom 4. März 2010 - 17 UF 5/10 - FamRZ 2010, 11711173). In Verfahren, die die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand haben, könne das rechtliche Gehör nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Es sei nicht zu erwarten, dass der Elternteil, wenn die zu erlassende Entscheidung seinem Antrag entspricht, den Beschluss noch einmal unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls prüft (vgl. KG Berlin a.a.O.).

    Das Kammergericht stützt seine Entscheidung zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens das rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden kann, dessen Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden soll (vgl. BVerfG - Beschluss vom 18. Januar 2000 - 1 BvR 321/96 - NJW 2000, 17091711). Die nachlassgerichtliche Genehmigung eines von einem Nachlasspfleger abgeschlossenen Erbauseinandersetzungsvertrages ohne Anhörung der Erben verletzt danach die Grundsätze des fairen Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass ein Dritter das rechtliche Gehör nur vermitteln kann, wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht unterworfen ist (vgl. BVerfG - Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - NJW 1991, 1283 ff.).

    Nach anderer Auffassung ist dem Kind in einem Erbausschlagungsverfahren nicht grundsätzlich zur Wahrnehmung der Verfahrensrechte ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Die Entziehung der Vertretungsmacht komme nur in Betracht, wenn im Einzelfall - über eine allgemeine typische Risikolage hinaus - konkrete Hinweise auf einen Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind gegeben sind und wenn aufgrund konkreter Umstände nicht zu erwarten ist, dass die Kindesmutter unabhängig vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des betroffenen Kindes wahrzunehmen bereit und in der Lage ist (vgl. Brandenburgisches OLG - Beschluss vom 6. Dezember 2010 - 9 UF 61/10 - juris).

    Der Senat schließt sich im Ergebnis der zuerst genannten Auffassung an.

    Es ist zwar kein erheblicher Interessengegensatz im Sinne von § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB gegeben. Entscheidend ist insoweit, dass die vorrangig als Erbin berufene Kindesmutter im Hinblick auf den offensichtlich überschuldeten Nachlass bereits die Erbschaft ausgeschlagen und selbst keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die nachfolgende Ausschlagung der Erbschaft für das betroffene Kind hat.

    Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter ist aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, verhindert.

    Nach § 41 Abs. 3 FamFG ist ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, auch demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Die Vorschrift trägt der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen (vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197). Anders als in anderen Verfahren kann die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber wollte gewährleisten, dass der Rechtsinhaber selbst von der Entscheidung frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er selbst fristgerecht Rechtsmittel einlegen sowie einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zügig widerrufen kann (vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197).

    Die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts ist also auch dem Kind bekannt zu geben (vgl. Keidel16–MeyerHolz, FamFG, § 41 Rdn 4. Heinemann, DNotZ 2009, 6,17). Da das hier betroffene Kind gemäß § 9 Abs. 1 FamFG nicht verfahrensfähig ist, kommt eine unmittelbare Bekanntgabe an das Kind nicht in Betracht. Soweit ein Kind nicht verfahrensfähig ist, handeln gemäß § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich die Eltern für das Kind. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der Erbausschlagung an die sorgeberechtigten Elternteile genügt aber nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3 FamFG. Aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 3 FamFG, wonach der Beschluss ´auch´ demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, ergibt sich, dass die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 FamFG neben die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 FamFG tritt (vgl. BTDrucksache 16/6308 S. 197). Außerdem wollte der Gesetzgeber etwaigen Widersprüchen zu § 1828 BGB vorbeugen, wonach das Familiengericht die Genehmigung zu einer Erbausschlagung (§ 1822 Nr. 1 BGB) nur den Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil gegenüber erklären kann.

    Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes kommt nicht als milderes Mittel statt einer Anordnung der Ergänzungspflegschaft in Betracht (anders: Zöller28–Feskorn, ZPO, § 41 FamFG Rdn. 8. Heinemann DNotZ 2009, 6, 17. Harders DNotZ 2009, 725, 730). Zustellungen an nicht verfahrensfähige Personen sind gemäß §§ 41 Abs. 3, 15 Abs. 1 und 2, 9 Abs. 2 FamFG, § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Händen des gesetzlichen Vertreters zu bewirken. Die Ergänzungspflegerin vertritt das Kind gemäß §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1793 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Gegensatz dazu ist der Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes, so dass Zustellungen für das Kind nicht an den Verfahrensbeistand bewirkt werden können (vgl. ebenso OLG Köln - Beschluss vom 10. August 2010 4 UF 127/10 - FamRZ 2011, 231 (Leitsatz). OLG Oldenburg - Beschluss vom 26. November 2009 - 14 UF 149/09 - FamRZ 2010, 660662).

    Da eine als ehrenamtlicher Ergänzungspfleger geeignete Einzelperson nicht vorhanden ist, hat das Amtsgericht zu Recht das Jugendamt der Landeshauptstadt Hannover als Ergänzungspfleger bestellt (§§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1791 b Abs. 1 S. 1 BGB).

    Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zuzulassen, weil die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nicht einheitlich ist.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über den Verfahrenswert auf § 45 Abs. 1 S. 1 FamGKG.

    -----------------

    Stellungnahme:

    Alles schön und gut, nur hat leider niemand bemerkt, dass die Erbausschlagung des Kindes überhaupt nicht genehmigungspflichtig war, weil das Kind erst infolge Ausschlagung der Mutter berufen war und die Mutter die alleinige elterliche Sorge innehat (§ 1643 Abs.2 S. 2 BGB).

  • Die Entscheidung ist auch deswegen etwas fragwürdig , weil die Vertretung des Kindes nur bzgl. der Bekanntgabe gem. § 41 III FamFG betrachtet wurde.

    Nicht entschieden wurde , ob nicht bereits für die Gewährung rechtlichen Gehörs/fairen Verfahrens durch Anhörung vor Entscheidung über Genehmigung ein Ergänzungspfleger insoweit hätte bestellt sein müssen , obwohl man sich in den Gründen eigentlich damit befasst hat.

    Der Wirkungskreis des hier von der ersten Instanz bestellten Ergänzungspflegers wäre m.E. nicht ausreichend gewesen.
    Ich bestelle "meine" Ergänzungspfleger immer für die Vertretung im gesamten Genehmigungsverfahren.

    Es ist allerdings nicht untypisch , dass in der Praxis Wirkungskreise zu eng gefasst werden.
    Da darf man sich hinterher nicht wundern, wenn das mal in die Hose geht.

  • Da stimme ich dir voll und ganz zu.

    Wird ein EPfleger nur für die Entgegennahme der Bekanntmachung bestellt, ist das ein Feigenblatt. Der Mann hat doch keinen Schimmer, was abgegangen ist, und soll dann an Hand der mehr oder weniger (un)verständlichen Begründung entscheiden, ob er Rechtsmittel einlegen soll oder nicht. Da kann ich auch die nächste Vogelscheuche als Bekanntmachungsempfänger nehmen.

  • Kommen wir mal zur Diskussion zur BGH-Entscheidung zur Umstellung von Alttiteln ( im Rechtsprechungsthread unter #86 :(

    BGH XII ZR 66/10 Urteil vom 18.04.2012 ( soweit ersichtlich bisher nur in juris ) unter Ziff. 2 des Leitsatzes :

    "Die Umrechnung dynamisierter Titel über den Kindesunterhalt zum 01.01.2008 nach § 36 Nr. 3 Satz 4 lit. a EGZPO über einen Prozentsatz des Mindestunterhalts nach § 1612 a BGB hat für jedes Kind gesondert zu erfolgen.
    Sie ergibt - bezogen auf den 01.01.2008 - nur einen einheitlichen Prozentsatz , der sodann auch Anwendung findet, wenn das Kind in eine höhere Altersstufe wechselt."


    Für die Jugendämter dürfte dies zunächst bedeuten :

    1.) Vergangenheit :
    Für die Vergangenheit wird kein Jugendamt wegen Schadensersatz erfolgreich in Anspruch genommen werden können , wenn es den Titel nach der alten
    Methode ( = 3 unterschiedliche Prozentwerte ) und den Umrechnungstabellen hier;) umgerechnet und entsprechend Geld vereinnahmt hat.

    Die frühere Umrechnung ist bis zur BGH-Entscheidung nicht zu beanstanden, da sie einer weit verbreiteten Rechtsprechung entsprach und der Unterhaltsschuldner sich gegen die Berechnung hätte wehren können.
    Wenn er das nicht getan hat , kann er keinen Schadensersatz aus Amtshaftung verlangen, was m.E. aus § 839 III BGB folgt.

    2.) Zukunft

    Für die Zukunft darf ab der BGH-Entscheidung m.E. nicht mehr nach der alten Version umgerechnet werden, sondern nur noch mit einem Prozentwert , der für die zum 01.01.2008 einschlägige Altersstufe ermittelt wurde.

    Unklar bzw . fraglich bleibt , ob die Jugendämter gehalten sind, die "alten" Rückstandsberechnungen v.a.w. auf die neue Berechnungsmethode umzustellen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Steinkauz (15. Juni 2012 um 15:08) aus folgendem Grund: katastr. Schreibfehler

  • Da die neue Ansicht des BGH nicht unmittelbar logisch war bzw. ist, werden mit dem Problem wohl viele zu kämpfen haben, nicht nur die Jugendämter - insbesondere auch die Anwälte. Ich selbst habe in der Zwangsvollstreckung (Anträge oder Überprüfung der Forderungsaufstellungen) auch immer davon ausgegangen, dass für jede Altersstufe der Prozentsatz getrennt zu berechnen ist.
    Der Gesetzgeber hätte aber gleich damals klarere Angaben zu diesen Fällen formulieren können. Ich verstehe immer nicht, dass niemanden von den hoch bezahlten Leuten auffällt, was für Fragestellungen sich in der Praxis aus einer unklaren bzw. nicht abschließenden Formulierung ergeben könnten.

  • Selbstredend will ich die o.g. Ausführungen nicht nur auf die Jugendämter beschränkt wissen; ich will nur mal die Dskussion anstoßen.

    Spannend dürfte der Umgang mit den sog. "Altfällen" sein.
    Warum diese aus meiner Sicht einer Überprüfung bedürfen , kann ich erst später ausführen, da mir zuhause die entspr. Unterlagen fehlen.

  • Etwas erschreckend , dass die bahnbrechende BGH-Entscheidung ( bisher ) keine weiteren Reaktionen im Forum auslöst.
    Schließlich haben wir es hier mit einer Revolution bei der Alttitelumstellung zu tun.

    Nun ja , dann mache ich mal selbst weiter :

    Was spricht dafür , dass auch die "Altfälle " einer umfassenden Prüfung durch die Gläubigerseite ( z.B. Jugendamt als Beistand oder Rechtsanwalt der Kindesmutter ) bedürfen ?

    Der Gläubigerseite könnte u.U. entgegengehalten werden , dass für die Vergangenheit eine Überzahlung des Schuldners vorliegt.
    Bei einem Rückzahlungsverlangen aus ungerechtfertigter Bereicherung wäre es vorstellbar , dass sich das Kind nicht mehr auf bestimmungsgemäßen Verbrauch und einen Wegfall der Bereicherung berufen kann ( §§ 818,819 BGB ).
    Wider besseres Wissen z.B. eine Vollstreckung nach der alten Berechnungsweise zu betreiben , könnte gefährlich werden.

  • Ihr habt ja Recht damit, dass das Urteil des BGH vom 18.04.2012 überrascht hat und damit natürlich vieles über den Haufen geworfen hat. Ich persönlich sehe aber (im Moment) wenig Diskussionsbedarf hierüber.
    Der BGH hat die bisher in der Praxis vorherrschende Meinung als falsch angesehen und gesagt, wie es richtig zu laufen hat. Okay, ab dem Urteil wird man sich also wohl danach zu richten haben.
    Das heisst aber m.E. nicht, dass die vorher übliche Praxis völlig abwegig war.

    Allerdings denke ich schon, dass man nach der Entscheidung jetzt z.B. bei der Prüfung von Forderungsaufstellungen die BGH-Meinung wird berücksichtigen müssen (oder zumindest sollen).

    Ulf

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  • Das mag zwar so sein ; dass sich hieraus aber geringer Diskussionsbedarf ergeben soll , ist für mich nicht nachvollziehbar.

    Kann schon sein , dass ( nicht nachvollziehbare ) BGH-Entscheidungen inzwischen abschreckend wirken .
    Kann aber auch sein , dass z.B. ein Vollstreckungsrechtspfleger erhebliches Interesse an dem ganzen Thema hat.

  • Natürlich ist die Entscheidung ziemlich interessant - gerade eben weil sie gegen die bis dahin herrschende Meinung erging!

    Dennoch wüssste ich persönlich im Moment nicht, was ich da diskutieren sollte.

    Das ist aber nur meine Ansicht für den Moment. Klar kann es sein, dass sich noch Bedarf für Diskussionen ergibt und natürlich kann es auch sein, dass andere bereits jetzt Bedarf haben.

    Ich will mit meiner Äußerung daher natürlich keine Diskussion "unterbinden".

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
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  • M.E. muss zunächst die höchstrichterliche Änderung der Rechtsprechung durch die Vollstreckungsorgane berücksichtigt werden, sobald ein neuer Vollstreckungsauftrag hinsichtlich des Unterhaltstitels eingeht.

    Etwas anderes ist, ob bei bereits vollzogenen Zwangsvollstreckungen bereicherungsrechtliche Ansprüche zugunsten des Schuldners bestehen (§§ 818,819 BGB; ggf. auch § 826 BGB) nachdem durch den BGH eine höchstrichterliche Änderung der Rechtsprechung erfolgt ist (von einer bis dahin bestehenden herrschenden Meinung möchte ich nicht sprechen, da bis zu diesem Zeitpunkt nur das OLG Dresden als einziges Oberlandesgericht entschieden hat).

    Evtl. bestehen diese bereicherungsrechtlichen Ansprüche bereits aus Gründen der Rechtssicherheit nicht (Zwangsvollstreckung ist bereits erledigt; im Zeitpunkt der Zwangsvollstreckung wurde ggf. die abweichende obergerichtlich Rechtsauffassung vertreten). Ggf. ist insoweit auch das Zeitmoment zu berücksichtigen (zwischen der OLG Dresden-Entscheidung und der BGH-Entscheidung lag ein geringer Zeitraum von 2 Jahren), so dass diese Ansprüche doch bestehen.

    Letztendlich entscheidet darüber der Richter des Prozessgerichts in einem zivilrechtlichen Verfahren, in dem die bereicherungsrechtlichen Ansprüche geltend gemacht werden (der Rechtspfleger sollte zur Vermeidung von Amtshaftungsansprüchen insoweit keine Auskünfte erteilen).

  • Für alle Interessierte:
    Zu dem Urteil (auch wie für die zurückliegende Zeit verfahren werden sollte) hat sich Prof. Dr. Bernhard Knittel geäußert in JAmt Heft 05/2012.

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