Sachliche Unabhängigkeit

  • Ich habe eine Frage insbesondere an die Urkundsbeamt(inn)en des gehobenen Dienstes an Sozial- und Verwaltungsgerichten:
    Wir sind ja hier keine Rechtspfleger. Steht irgendwo geschrieben, dass wir trotzdem in unseren Entscheidungen rechtlich unabhängig sind?

  • Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 21. Juni 2007 - BVerwG 4 KSt 1001.07 - mit dem Begriff des "Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" befasst.
    Dabei hat es festgesetellt, dass der Begriff des Urkundsbeamten weder beamten- noch dienstrechtlich definiert ist. Vielmehr sei er ein prozessualer Funktionsbegriff ( Stelkens, in : Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 13 Rn. 9 m.w.N. ) Funktional betrachtet erfülle der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht mit der Kostenfestsetzung Aufgaben, die in der ordentlichen Gerichtsbarkeit dem Rechtspfleger zugewiesen sind. Bei der Kostenfestsetzung werde der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle als richterliches Organ tätig und sei deshalb insoweit an Weisungen nicht gebunden ( Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., 2005, § 164 Rn. 3 ).
    - http://www.bverwg.de/enid/311?e_view=detail&con_id=9042 -

    Ich meine deshalb, dass in der Spezialgerichtsbarkeit der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bei allen Aufgaben, die in der ordentlichen Gerichtsbarkeit dem Rechtspfleger zugewiesen sind, in derselben Weise wie dieser frei von Weisungen, also unabhängig ist.

    Beschluss des 4. Senats vom 21. Juni 2007 – BVerwG 4 KSt 1001.07 (4 VR 1006.04) –

  • Dazu eine kleine Anekdote am Rande: Ich war für 2 Jahre an unser (damals als selbständiges VG statt Außenkammern) neu eingerichtetes VG abgeordnet. Ich habe dort die KFB - so unrichtig das sein mag - immer mit Rechtspfleger unterschrieben, da ich mir den Status nicht nehmen lassen wollte, nur weil ich an eine Gerichtsbarkeit abgeordnet war, die praktisch noch gar keinen eigenen gD hatte. Insoweit habe ich auf stur gestellt und das 2 Jahre lang durchgehalten. Eine Mitstreiterin von einem anderen VG schloss sich dieser Verfahrensweise sogar an. Man hat das (stillschweigend? zähneknirschend?) hingenommen und zuletzt hat das Rechtsmittelgericht sogar die Erinnerung gegen den KFB des "Rechtspflegers" bei dem VG ... zurückgewiesen. :D
    Ansonsten galt auch schon zu meiner Zeit das von Jakintzale Erläuterte. Nur die genannten Entscheidungen gab es damals noch nicht. Auf die berühmte VwPO wartet man ja schon seit mehr als 20 Jahren...

  • Nun,

    für die eigentliche Kostenfestsetzung (in der Sozialgerichtsbarkeit) kann man lediglich bei Mayer/Ladewig, eine nicht vergleichbare, aber ähnliche Stellung mit viel Wohlwollen herauslesen.

    Aber bei allen weiteren vergleichbaren Tätigkeiten (Bsp. PKH usw.): nein.

    Das ging in der Vergangenheit soweit, dass mir Entscheidungen des LSG um die Ohren gehauen wurden, aus welchen direkt hervorging, dass ich (lediglich) anweisungsempfangender Beamter bin, dessen Vorgesetzter in Kostensachen die oder der Bezi ist.
    Hat dieser im Rahmen einer Kostenerinnerung (nach Anhörung durch das die Erinnerung entscheidende Gericht) eine Stellungnahme abgegeben, dann ist dieser zu folgen.

    Das klingt nun sehr negativ.
    Nein, abgesehen von solchen Situationen, kann ich feststellen, dass es weder schlimmer, noch besser ist als in "richtigen" Rechtspflegertätigkeitsbereichen.
    Allein die Tatsache, dass ich einen Kostenfestsetzungsbeschluss nicht mit Rechtspfleger unterzeichne, macht diesen weder schlechter, noch besser.



  • Allein die Tatsache, dass ich einen Kostenfestsetzungsbeschluss nicht mit Rechtspfleger unterzeichne, macht diesen weder schlechter, noch besser.

    Das ist wohl richtig und würde ich auch nicht behaupten wollen. Seinerzeit war das VG meine 2. Praxisstation und es ging mir als (unfreiwillig) abgeordneter Lückenbüßer eher ums Prinzip. :teufel:

    Heute sieht das sicherlich ganz anders aus. Allerdings kann ich die von Dir genannte Methode mit dem Bezi als Vorgesetzten nun auch nicht gerade gut heißen. Aber im Allgemeinen passt es schon. Die Fachgerichtsbarkeiten sind in der Infrastruktur (siehe VwPO) leider immer noch im Hintertreffen.

  • @Jakintzale, vielen Dank für die Fundstelle. :)
    Allerdings ist es schade, dass in der Entscheidung offen geblieben ist, ob die Erinnerungsentscheidung eine KGE enthalten muss. Unsere Richter stehen auf dem Standpunkt, im Erinnerungsverfahren entstehen keine Kosten, deshalb gibt es keine KGE. Und wenn eine beantragt wird, wird sie zurückgewiesen.

    @Zubbel, dass der Bezi mein Vorgesetzter sein soll, hat mir bisher noch keiner gesagt. Das erklärt aber vielleicht ein bisschen, warum wir Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse nicht abhelfen dürfen, Erinnerungen gegen Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse aber schon.


  • Das erklärt aber vielleicht ein bisschen, warum wir Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse nicht abhelfen dürfen, Erinnerungen gegen Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse aber schon.

    Huch, ist das so geregelt? Derartige Unterschiede hätte ich jetzt doch nicht vermutet. Mit dem Status UdG kann das nach den Ausführungen von Jakintzale eigentlich ja nicht zusammenhängen... :gruebel:

  • Ich kann dir nicht sagen, wo das so geregelt ist. Mir wurde am Anfang gesagt, dass das so ist. Ich habe mich zwar gewundert, aber nicht weiter nachgefragt. Für die Richter ist es so normal und warum soll ich mir mehr Arbeit aufhalsen?
    Nur eine Verfahrensweise habe ich nicht von meinen Kollegen übernommen: Bei Erinnerung gegen einen Vergütungsfestsetzungsbeschluss verfügen sie sofort:
    1. Der Erinnerung wird nicht abgeholfen.
    2. SF-AZ anlegen ==> Vorlage an Richter.
    Der Richter hört dann den Bezi an...
    Ich höre erst den Bezi an und entscheide dann, ob ich abhelfe oder nicht. Vorher bekommt der Richter die Akte nicht.

  • Dascha gediegen.:D

  • Ich kann dir nicht sagen, wo das so geregelt ist. Mir wurde am Anfang gesagt, dass das so ist. Ich habe mich zwar gewundert, aber nicht weiter nachgefragt. Für die Richter ist es so normal und warum soll ich mir mehr Arbeit aufhalsen?
    Nur eine Verfahrensweise habe ich nicht von meinen Kollegen übernommen: Bei Erinnerung gegen einen Vergütungsfestsetzungsbeschluss verfügen sie sofort:
    1. Der Erinnerung wird nicht abgeholfen.
    2. SF-AZ anlegen ==> Vorlage an Richter.
    Der Richter hört dann den Bezi an...
    Ich höre erst den Bezi an und entscheide dann, ob ich abhelfe oder nicht. Vorher bekommt der Richter die Akte nicht.


    Die vorherige Vorlage an den Bezi erscheint mir auch nicht gerechtfertigt.

    Über die Abhilfe/nichtabhilfe ist aufgrund des Vorbringens durch den Erinnerungsführer zu entscheiden. Nur wenn dieser Ausführungen macht, die den angegriffenen Beschluss (teilweise) als ungerechtfertigt erscheinen lassen, erfolgt eine vollständige oder teilweise Abhilfe.

    Wenn man den Bezi vor Entscheidung über die Abhilfe anhört, gebietet es das Gebot des fairen Verfahrens, die Stellungnahme (mit der Nichtabhilfe beantragt wird) wiederum dem Erinnerungsführer zu übersenden. Wenn dieser dann ggf. wichtige Ausführungen dazu macht, müsste man nochmals dem Bezi vorlegen usw.

    Einmal editiert, zuletzt von Frog (4. Juni 2012 um 09:08) aus folgendem Grund: ergänzt

  • Da sehe ich das Problem nicht. In seinerzeit relevanten PKH-Fällen habe ich es genauso gehandhabt. Schließlich ist auch der Vertreter der Landeskasse beteiligt und zu beteiligen. Die Anhörung und Stellungnahme-Einholung ist doch nichts anderes als im "normalen" KFV.

    Nicht zu beteiligen ist der Bezi im normalen KFV ohne LK-Beteiligung. Da würde bei uns der Bezi aber selbst schon für sorgen durch den hier üblichen Vermerk: Von einer Stellungnahme wird abgesehen. Die LK ist nicht beteiligt. Wenn das in der Fachgerichtsbarkeit hier anders laufen sollte, fehlt mir dafür die Grundlage und das Verständnis.

  • Ich habe eine Frage insbesondere an die Urkundsbeamt(inn)en des gehobenen Dienstes an Sozial- und Verwaltungsgerichten:
    Wir sind ja hier keine Rechtspfleger. Steht irgendwo geschrieben, dass wir trotzdem in unseren Entscheidungen rechtlich unabhängig sind?


    Aus dem Gesetz läßt sich das (wie aus § 9 RPflG) nicht unmittelbar herleiten.
    Für die Sozialgerichtsbarkeit ist hier zunächst § 4 SGG zu nennen. Anders als in § 153 GVG ist die Ernennung zum UdG offenbar an keine (Ausbildungs-)Voraussetzungen geknüpft. Da kann einem schonmal etwas unheimlich werden.
    Andererseits werden immer wieder die aus § 153 GVG entwickelten Grundsätze hergenommen. Zu den wichtigsten zählt auf jeden Fall die Bezeichnung des UdG als "Organ der Rechtspflege". Er ist also nicht Mitarbeiter der Justizverwaltung (wie z.B. Bezirksrevisoren und Kostenbeamte) und somit im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenwahrnehmung nicht an Weisungen der Justizverwaltung gebunden. Als aus dem Gesetz ableitbare Aufgaben stehen zu vorderst die Festsetzungen nach § 197 SGG, nach § 11 RVG (siehe Absatz 3) aber auch nach § 55 RVG.
    Auch wenn es die Bezirksrevisoren nicht gern hören, aber im Gegensatz zu ihnen ist der UdG im Rahmen seiner Tätigkeit als solcher nicht an Weisungen der Justizverwaltung gebunden, schon gar nicht an die des Bezirksrevisors.

  • Eben. In den Fällen, in denen der Bezi beteiligt ist/wird, trägt er genauso seine Ansicht vor wie jede andere Partei des Kostenverfahrens. Entscheiden muss allein das Festsetzungsorgan - und da eben - wenns auch recht selten ist - durchaus auch gegen den Bezi. Das kann zwischen den Sparten der Gerichtsbarkeit eigentlich so unterschiedlich nicht sein.

  • Mal eine begriffliche Anmerkung: Ich stolpere über die Thread-Überschrift. Ist denn hier nicht in Wahrheit nach der "sachlichen Unabhängigkeit" gefragt? "Rechtliche Unabhängigkeit" gab es doch nur beim Fürsten im Absolutismus. Der musste die Gesetze nicht beachten, nicht einmal die, die er selbst gab.

    Und eine praktische Frage: Ist das hier nicht alles ein Streit um Kaisers Bart? Wenn ich Staatsanwalt bin, dann bin ich nicht sachlich unabhängig, aber der, der mir Vorgaben macht, ist selber Staatsanwalt und weiß, was er mir anordnet. Wer aber sollte dem Rechtspfleger beim Sozialgericht hineinreden können oder wollen?

  • Mal eine begriffliche Anmerkung: ... Ist denn hier nicht in Wahrheit nach der "sachlichen Unabhängigkeit" gefragt?

    Und eine praktische Frage: Ist das hier nicht alles ein Streit um Kaisers Bart? Wenn ich Staatsanwalt bin, dann bin ich nicht sachlich unabhängig, aber der, der mir Vorgaben macht, ist selber Staatsanwalt und weiß, was er mir anordnet. Wer aber sollte dem Rechtspfleger beim Sozialgericht hineinreden können oder wollen?

    Selbstverständlich geht es um die sachliche Unabhängigkeit. Aber die falsche Bezeichnung des Thread-Themas dürfte nicht schaden, da jeder Eingeweihte weiß, worum es hier geht :).
    Der Vergleich mit dem Staatsanwalt hinkt, denn auch der Rechtspfleger, dem Geschäfte der Staatsanwaltschaft in Strafsachen gem. § 31 RpflG übertragen sind, ist nicht sachlich unabhängig. § 32 RpflG bestimmt, dass die §§ 5 bis 11 RpflG, also auch § 9 RpflG, der die sachliche Unabhängigkeit normiert, auf diese übertragenen Geschäfte nicht anzuwenden sind.

    Ich glaube nicht, dass es sich bei der Frage der sachlichen Unabhängigkeit um einen "Streit um Kaisers Bart" handelt. Dank der Vorschrift des § 9 RpflG unternimmt es niemand, einem Rechtspfleger bei Gericht zu seiner Sachbearbeitung Weisungen zu erteilen - zumindest habe ich es in 42 Dienstjahren nicht erlebt -, ebenso wie mein beamtenrechtlicher Vorgesetzter in den dienstlichen Beurteilungen stets einen Hinweis aufgenommen hat, dass wegen der sachlichen Unabhängigkeit meine Arbeitsergebnisse keiner Beurteilung unterliegen. Es ist jedoch vorstellbar, dass in anderen Behörden, bei denen Sachbearbeiter nicht weisungsfrei sind, durchaus Weisungen erteilt werden, von denen manche nicht im Interesse des betroffenen Bürgers liegen dürften. Ich denke dabei insbesondere an Vorgänge, die mit finanziellen Ausgaben des Staates verbunden sind.

  • Mal eine begriffliche Anmerkung: Ich stolpere über die Thread-Überschrift. Ist denn hier nicht in Wahrheit nach der "sachlichen Unabhängigkeit" gefragt?


    Ja, du hast Recht.:oops: Ich hab`s geändert.

    Zur kurzen Erklärung: Hier werden seit Jahren in verschiedenen Verfahren Kostenfestsetzungsbeschlüsse erlassen, obwohl es nach unserer Meinung keine wirksame KGE gibt. Wir sind jetzt dazu über gegangen, das nicht mehr zu tun. Die Richter müssten halt mal noch einen kurzen Beschluss machen. Das wird nicht unbedingt bei allen mit Wohlwollen gesehen und nun überlegt die Verwaltung, ob man den Richtern diese "Mehrarbeit" zumuten kann oder ob wir besser weiter machen wie bisher. Es ist ja immer gut gegangen.
    Bisherige Anweisung: Weitermachen wie bisher und auf weitere Anweisungen warten. Wir wollen das so nicht (und machen es auch nicht).

  • Ich fasse es nicht. :eek:
    Leben die noch im Mittelalter?

  • Dasselbe habe ich in den 80ern bei unserem VG auch erlebt. Nur nicht beirren lassen. Die waren froh, als ich nach 2 Jahren zum LG wechselte... :teufel:

  • Wer aber sollte dem Rechtspfleger beim Sozialgericht hineinreden können oder wollen?

    Treffer! Niemand - zumindest hier nicht. Manchmal frage ich mich auch, ob der Rest der Belegschaft weiß, was ich den ganzen Tag so mache :)

    Was die sachliche Unabhängigkeit angeht: Wenn der UdG als Organ der Rechtspflege tätig wird, dann tut er das selbstredend in sachlicher Unabhängigkeit. Ob nun im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 197 Abs.1 S.1 SGG oder - und ja, da können wir uns wieder streiten - im Festsetzungsverfahren nach § 55 Abs.1 S.1 RVG. Es gibt da auch eine entsprechende BT-Drs. in der dazu was steht, aber ich finde sie gerade nicht...

    Der Bezirksrevisor ist gegenüber seinen Prüfungsbeamten und dem Kostenbeamten im Sinne der Kostenverfügung weisungsbefugt, nicht aber gegenüber dem UdG.

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