Ansprüche aus verschiedenen Rechtsgründen = Ungewissheit Person d. Gläubigers?

  • Hi! Folgende Frage:

    Ein Steuerpflichtiger beantragt beim Finanzamt, überzahlte Umsatzsteuer erstattet zu bekommen. Gleichzeitig fechtet der Insolvenzverwalter derjenigen Person, die die Umsatzsteuervorauszahlungen für den Steuerpflichtigen damals gezahlt hat, die Zahlungen nach §§ 129 ff. InsO beim Finanzamt an.

    Das Finanzamt kann jetzt nicht sowohl den abgabenrechtlichen Erstattungsanspruch als auch den zivilrechtlichen Anfechtungsanspruch erfüllen, da beiden Ansprüchen die identischen Zahlungen zugrunde liegen. Kann es die fraglichen Beträge beim Amtsgericht hinterlegen? Kollege wendet ein, dass hier keine "Ungewissheit über die Person des Gläubigers" besteht, da hier materiell-rechtlich unterschiedliche Ansprüche vorliegen. Stimmt das?

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Nach § 143 Abs. 1 InsO muss das FA die Beträge an die Masse erstatten. Das FA wird so gestellt, als sei es ungerechtfertigt bereichert. Warum also nicht an den IV auszahlen? Bestehen Zweifel an der Wirksamkeit der Anfechtung?

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

  • Danke Ulf! Gründe, sich gg. eine Insolvenzanfechtung zu wehren, gibt es immer. Was mach ich, wenn das FG meint, die Insolvenzanfechtung erfolgte zu Unrecht? Es gilt also, die Situation wie in Hess. FG, 16.10.2012 - 6 K 721/10 zu vermeiden. Dort meinte das Finanzgericht, das Finanzamt habe vorschnell den Insolvenzanfechtungsanspruch erfüllt, so dass diese Auszahlung nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sei. In diesem Fall musste das Finanzamt also zwei Mal zahlen.

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  • Wenn das FA vorträgt, dass es Zweifel an der Wirksamkeit der Anfechtung hat, dann liegt m.E. auch ein HL-Grund vor. Denn greift die Anfechtung durch, hat der Steuerpflichtige keinen Erstattungsanspruch mehr gegen das FA, greift sie aber nicht durch, ist an den Steuerpflichtigen zu erstatten. Ich würde eine solche HL daher annehmen.

    Ulf

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    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

  • Was ist denn von der Kommentierung zu § 372 BGB zu halten (hier z. B. aus BeckOK)?

    Tz. 18:

    "Eine Ungewissheit über die Person des Gläubigers besteht nicht schon dann, wenn verschiedene - als solche feststehende - Gläubiger aus verschiedenen Rechtsgründen Ansprüche gegen den Schuldner erheben (RGZ 103, 285, 286 zu Kaufpreis und Wertersatz; BGH ZIP 1981, 65, 67 zu Kaufvertrag und Sicherungsübereignung; BGHZ 92, 374, 385 f zum Zugriff von Bürge und Konkursverwalter; BGH NJW-RR 2007, 687, 688 f zu Factorkunde und Finanzamt; OLG Saarbrücken ZfSch 2008, 400 zur Kostenerstattung; s auch BGH LM Nr 6; NJW 1993, 55; NJW 2003, 1809, 1810 zum gewerblichen Mietvertrag); ebenso wenig genügt allein das Auftreten mehrerer Prätendenten (BGHZ 7, 302, 307; BGH NJW-RR 2005, 712 f; OLG Frankfurt VersR 2005, 1067 f; offen gelassen von BGH NJW-RR 2007, 687, 688 f für denselben (Streit-?)Gegenstand betreffende Forderungen)."

    Da ist doch nen Unterschied zu meinem Fall. Ich komme bloß nicht auf den Dreh...

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  • Als HL-Stelle kann ich dazu nur sagen, dass an eine behauptete Gläubigerungewissheit keine zu strengen Anforderungen zu stellen sind. Ein HL-Grund ist daher hier m.E. zu bejahen. Ob eine Hinterlegung hier dann gewünschten Effekt hätte und das FA tatsächlich von seinen Verpflichtungen frei käme, muss mich nicht interessieren.

    Ulf

    Alle Äußerungen hier sind als rein private Meinungsäußerung zu verstehen,
    sofern es bei den Beiträgen nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet wird.

  • Okay, vielen Dank nochmal. :)

    Hast recht, ist eher ne materiell-rechtliche Frage, ob die HL dann auch Erfüllungswirkung hat.

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  • Ich brems jetzt mal wieder rein und bring meine eigene Auffassung an.

    Der Insoverwalter hat eventuell einen Anspruch aus der Anfechtung. Der Steuerpflichtige hat einen Steuererstattungsanspruch.

    Der Erstattungsanspruch ist an den Steuerpflichtigen auszuzahlen.

    Sollte die Anfechtung erfolgreich sein, dann ist das Geld an den Insoverwalter auszukehren. Damit lebt der ursprüngliche Steueranspruch wieder auf und ist gegen den Steuerpflichtigen geltend zu machen.

    Ich würde den Steuerpflichtigen informieren, dass Einzahlungen angefochten sind und die Erstattung erst erfolgt, wenn über die Anfechtung abschließend entschieden ist. Eine Auszahlung gegen Sicherheitsleistung könnte ich mir auch noch vorstellen.

  • Es ist ja leider ungeklärt, ob man nach einer Erstattung an den Steuerpflichtigen und einer anschließenden erfolgreichen Insolvenzanfechtung die Erstattung wieder von dem Steuerpflichtigen zurückverlangen kann (Anwendbarkeit des § 144 InsO im Dreipersonenverhältnis).

    Umgekehrt ist ebenso strittig, ob das Finanzamt durch die Anerkennung des Anfechtungsanspruch nicht frei wird, ohne dass das im Verhältnis zum Steuerpflichtigen noch einmal überprüft wird.

    BFH vom 26.08.2014 - VII R 16/13

    Alles Unwägbarkeiten für das Finanzamt. Ich würde allerdings gerne anderen den Vortritt lassen, dass auszuklagen.

    Die Option, einfach den Erstattungsbetrag zurückzuhalten, bis die Insolvenzanfechtung durch ist, gibt es nicht. Das kann ja u. U. Jahre dauern.Hierfür gibt es m. E. keine Rechtsgrundlage (insb. nicht für das Verlangen einer Sicherheitsleistung).

    Auch sehe ich keine Möglichkeit, die Rechtsstreite hier so miteinander zu verbinden, dass eine Entscheidung hier für und gegen alle ergeht.

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  • Die grundlegende Frage im Dreipersonenverhältnis ist doch, ob sich der Anfechtungsanspruch überhaupt gegen die Finanzverwaltung richtet.

    "Für das Universum ist die Menschheit nur ein durchlaufender Posten."

  • Die grundlegende Frage im Dreipersonenverhältnis ist doch, ob sich der Anfechtungsanspruch überhaupt gegen die Finanzverwaltung richtet.

    Warum? Finanzamt hat das Geld in anfechtbarer Weise vereinnahmt, hat es noch und ist doch damit unstreitig Anfechtungsgegner, oder?

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  • Nein ist es nicht. Hier liegt ein Dreipersonenverhältnis, welches nach § 134 InsO zu beurteilen ist, vor. Eine unentgeltliche Leistung liegt im Verhältnis zur Finanzverwaltung nur dann vor, wenn dieses keine Gegenleistung erbracht hat. Das ist nur dann der Fall, wenn die Steuerforderung gegenüber dem Steuerpflichtigen als wertlos anzusehen war. Der Bundesgerichtshof hat dies für die Zahlungsunfähigkeit des ursprünglichen (Steuer-)Schuldners bejaht. In diesem Fall gibt nämlich das Finanzamt nichts auf, so dass auch keine entgeltliche Leistung vorliegt. Wenn die Steuerforderung gegenüber dem Steuerpflichtigen durchsetzbar gewesen wäre, liegt das Entgelt in dem gleichzeitigen Verlust der werthaltigen Forderung. Anfechtungsgegner ist dann der Steuerpflichtige, zu dessen Gunsten die Zahlung erfolgt ist.


    Andere Konstellationen sind möglich, insbesondere bei einer Umsatzsteuerorganschaft. Kann Dir dazu mal ein Urteil, welches meine Klage allerdings abgewiesen hat, zukommen lassen. Bei Bedarf bitte Deine E-Mail Adresse nochmals per PN. Habe diese nämlich wahrscheinlich schon wieder verschusselt :oops:.

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  • ...
    Auch sehe ich keine Möglichkeit, die Rechtsstreite hier so miteinander zu verbinden, dass eine Entscheidung hier für und gegen alle ergeht.


    Vielleicht übersehe ich etwas, aber was spricht dagegen, sich vom Insolvenzverwalter verklagen zu lassen und dem rückfordernden Einzahler den Streit zu verkünden?

    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH

  • Wenn ich den Fall hätte, würde ich den liebend gerne durchklagen (lassen)...

    Kurze Frage zum Verständnis.. haben wir das Problem im Rahmen einer umsatzsteuerlichen Organschaft, oder in einem anderen Fall.

    Die Ausführungen von Gegs finde ich auch gut. Wenn ein Insolvenzschuldner für einen anderen die Steuern bezahlt, würde ich notfalls argumentieren, dass die Zahlung im Rahmen eines abgekürzten Zahlungsweges erfolgte und die Zahlung daher beim Steuerschuldner anzufechten ist, denn letztlich trat die Bereicherung bei diesem ein.

  • Eigentluch ging es mir ja um die Hinterlegung. Aber gerne hier der Fall aus Anfechtungssicht: Umsatzsteuerliche Organschaft, Zahlungen kommen vom Konto der Organgesellschaft. Hinterher wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Organschaft gar nicht vorlagen. Vermeintlicher Organträger/vermeintlicher Steuerschuldner reicht jetzt USt-Erklärungen über Null Euro Umsatz ein und will die gezahlte USt erstattet haben, Insolvenzverwalter der vermeintlichen Organgesellschaft will das vom Konto der Insolvenzschuldnerin gezahlte Geld wieder haben.

    ... denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Römer 13,6

  • Ich nenn den Organträger jetzt mal S und die Organgesellschaft IS, okay?

    Steuerschuldner der Umsatzsteuer ist S. IS ist, zumindest nach dem Steuerrecht, nicht verpflichtet die Steuern für S zu bezahlen. Wenn Sie es doch tut, ist das auf Grund eines Tatbestandes der ausschließlich zwischen S und IS ausgemacht wurde.

    Meines Erachtens sind die Zahlungen daher bei S anzufechten.


    An der Tatsache, dass der Steuererstattungsanpruch dem S zusteht, ändert aber alles nichts.

  • Wegen BGH v. 19.01.2012 IX ZR 2/11 haben ich da arge Bedenken wegen der Anfechtung. Ich mag daher eigentlich lieber dem Insolvenzverwalter das Geld geben. Arg. auch aus BFH vom 26.08.2014 - VII R 16/13 - Der S müsste das Geld ohnehin dem Insolvenzverwalter geben, da es aus dem Vermögen der IS stammt.

    Zu AndreasH: Im Anfechtungsprozess könnte ich m. E. problemlos den S mit hineinnehmen. Aber in das abgabenrechtliche Verfahren des S auf Erstattung der USt bekomme ich den IS nicht hinein... Könnte es höchstens über § 363 AO, § 74 FGO über eine Aussetzung bis zur Entscheidung über den Anfechtungsprozess versuchen. In dem Fall müsste ich mich allerdings auch vom InsV verklagen lassen... :(

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    Zu AndreasH: Im Anfechtungsprozess könnte ich m. E. problemlos den S mit hineinnehmen. Aber in das abgabenrechtliche Verfahren des S auf Erstattung der USt bekomme ich den IS nicht hinein... ...


    Das hatte ich mir auch so gedacht, deswegen ja der Vorschlag, sich im Insolvenzverwalter verklagen zu lassen. Das müsste sich im Rahmen eines "Informationsaustauschs" mit dem Insolvenzverwalter eigentlich regeln lassen. Und mindestens über die Interventionswirkung der Streitverkündung wird damit dann der Anspruch des "Zahlers" erledigt.
    Die einzige Frage, die ich mir in diesem Zusammenhang stelle, wäre, ob es sich nicht sogar um eine Hauptintervention des "Zahlers" handeln würde. Könnte Euch m.E. aber egal sein, denn mit der Streitverkündung wäre er jedenfalls informiert, und was er dann tut, ist seine Sache.


    Aber nochmal zur eigentlichen Ausgangsfrage zurück:
    Ich sehe hier durchaus eine Gläubigerungewissheit. Wenn ich den Sachverhalt richtig verstanden habe, dann steht das Geld entweder dem Zahler (als Rückzahlung einer Überzahlung) oder dem Insolvenzverwalter (als Ergebnis einer Anfechtung) zu. Beide Ansprüche schließen sich, wenn ich das recht verstanden habe, gegenseitig aus und je nachdem, wer (zuerst) obsiegt, erhält das Geld. Hier läge daher m.E. der seltene Fall vor, wo eine Anspruchskonkurrenz doch eine Gläubigerungewissheit schafft. Müsste m.E. daher auch mit der Hinterlegung klappen.


    Mit freundlichen Grüßen
    AndreasH


    Nachtrag:
    Ich weiß, dass der BGH das derzeit anders sieht. Die Entscheidungen, die ich nachverfolgt habe, liegen allerdings vor der von Dir genannten Entscheidung des BFH. Und gerade wegen dieser Entscheidung besteht die Gefahr, dass ein Schuldner doppelt leisten müsste. Genau um dieses zu verhindern gibt es die Hinterlegung nach § 372 BGB, das ist allgemeine Meinung. Man könnte also notfalls versuchen, dies im Hinterlegungswege bis zum GmS-OGB zu treiben, da hier BGH und BFH wohl unvereinbar judizieren (ob das sinnvoll ist - und ob man dahin käme, oder nicht vorher abgewürgt wird - steht auf einem anderen Blatt).

    2 Mal editiert, zuletzt von AndreasH (3. Dezember 2014 um 10:24) aus folgendem Grund: Nachtrag

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