Urteilsanmerkungen / Kommentare - Betreuung

  • In einigen Unterforen (InsO und Familie) gibt es für die Rechtsprechungsthreads bereits Diskussionsthreads, damit die dort eingestellten Entscheidungen nicht untergehen bzw. die Rechtsprechungsthreads nicht durch Diskussionen unübersichtlich werden.

    Dies ist nun der Diskussionsthread zu

    Rechtsprechungshinweise Betreuung

  • LG Leipzig, Beschluss vom 08.07.2015, 2 T 475/15

    Das Schonvermögen bei nicht voll erwerbsgeminderten Personen, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, beträgt 1.600,00 €.


    Weiß jemand, wie das LG Leipzig diese - aus meiner Sicht nicht nachvollziehbare - Entscheidung begründet hat?

    Gibt es entgegenstehende Rechtsprechung von anderen Landgerichten (oder OLG)? :gruebel:

  • Die Entziehung der Vertretung nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1796 Abs. 1 BGB geschieht durch eine Einschränkung des Aufgabenkreises des (bisherigen) Betreuers gemäß § 1908d Abs. 1 Satz 2 BGB und ist infolgedessen dem Richter vorbehalten.

    LG Mainz 8. Zivilkammer, Beschluss vom 18.05.2016, 8 T 83/16 (juris)


    Aus dem Rechtsprechungsthread.

    Was meint Ihr zu der Entscheidung?

    ich halte sie für ziemlich schwach.

    Ich bin der Auffassung, dass die Entziehung der Vertretungsmacht (nur) nach §1908 i i.V.m. §1796 BGB stattfindet und dass §1908 d I gar nicht berührt wird, obwohl direkt nach Wortlaut von "so ist dessen Aufgabenkreis einzuschränken" die Rede ist. §1908 d I 2 BGB meint m.E. die Fälle, in denen ein Aufgabenkreis, oder ein Teil an sich wegfällt und die Betreuung diesbezüglich komplett endet.

    Ich denke, das ergibt sich auch daraus, dass §1908 d I 1 BGB von der GANZEN Betreuung spricht, die aufzuheben ist, wenn die Voraussetzungen wegfallen und Satz 2 dann eben einen teilweisen Wegfall behandelt.

    Weiter spricht dafür, dass in §15 Nr. 7 RpflG, wo §1908 i BGB direkt thematisiert ist, §1796 im Gegensatz zu §1797 und 1798 BGB nicht genannt ist.
    Warum sollte der Gesetzgeber §§1908 i i.V.m. 1797 BGB im §15 Nr. 7 genannt sein, aber §§1908 i i.V.m. 1796 BGB nicht?


    DAZU kommt, dass in Rheinland-Pfalz (wo Mainz liegt) der Betreuerwechsel (an den der Entzug der Vertretungsmacht und die damit in Zusammenhang stehende Bestellung eines Ergänzungsbetreuers (wenn man denn schon einen Vergleich ziehen möchte) viel eher anzulehnen ist, da kein Aufgabenkreis wegfällt, sondern einer entlassen und ein anderer bestellt wird) auf den Rechtspfleger übertragen ist.

    => ich kann letztlich schlicht den Betreuer für den Teilbereich X entlassen, weil ein erheblicher Interessengegensatz und daher keine Eignung besteht, und einen anderen bestellen.

    Ich halte das für absurd und habe vor, mich der Auffassung nicht anzuschließen; möge mich das LG (in dessen Bezirk ich das UNGLAUBLICHE Vergnügen habe zu arbeiten) eben aufheben

    Ich kaufe ein "I" und möchte lösen! -BOCKWURST-


    Wenn ich sterbe, sollen meine Überreste in Disneyland verstreut werden.
    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Genauso sehe ich das auch. Hier hat das LG Mainz den § 1908d und die zitierte Gesetzesbegründung gehörig falsch verstanden. Das ist aus mehreren Gründen für mich offensichtlich:

    Das ergibt sich m.E. schon deshalb weil die Gesetzesbegründung selbst wörtlich zur Einbeziehung des § 1796 BGB ausführt: "Auch bei der Betreuung kann es sinnvoll sein, anstelle der in § 1908d vorgesehenen vollständigen Entlassung lediglich eine Einschränkung des Aufgabenkreises zu verfügen". Hätte der Gesetzgeber gemeint, dass diese "Einschränkung" nun die im Sinne des Abs. 1 Satz 2 ist, hätte er diesen Satz hierfür neu geschaffen. Zu dem Zeitpunkt der Drucksache 11/4528 gab es den § 1908d Abs. 1 Satz 2 aber schon.

    Außerdem spricht § 1908d Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich vom Wegfall der Voraussetzungen für die Betreuung. Die Voraussetzungen für die Betreuung an sich liegen aber in solchen Fällen weiter vor. Das zeigt, dass § 1908d gar nicht einschlägig ist.

    Zuletzt brauch es für eine Entscheidung über die "Einschränkung" der Vertretungsmacht nicht den § 1908d BGB, denn hierfür reicht der Verweis in § 1908i zu § 1796 BGB aus. Dort steht bereits, dass das Gericht die Vertretung für einzelne Angelegenheiten entziehen kann. Genau das kommt in der Gesetzesbegründung m.E. auch zum Ausdruck.

  • [quote='Prinz','RE: Rechtsprechungshinweise Betreuung Entziehung der Vertretung nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1796 Abs. 1 BGB geschieht durch eine Einschränkung des Aufgabenkreises des (bisherigen) Betreuers gemäß § 1908d Abs. 1 Satz 2 BGB und ist infolgedessen dem Richter vorbehalten.

    LG Mainz 8. Zivilkammer, Beschluss vom 18.05.2016, 8 T 83/16 (juris)


    BGH, 11.01.2017; XII ZB 305/16

    Leitsatz:

    Durch eine auf § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RPflG gestützte landesrechtliche Rechtsverordnung kann der Richtervorbehalt für die Bestellung eines Verhinderungs- oder Ergänzungsbetreuers gemäß § 1899 Abs. 4 BGB aufgehoben werden, soweit dadurch lediglich ein Ausschnitt aus dem Aufgabenbereich des Hauptbetreuers auf einen Verhinderungs- oder Ergänzungsbetreuer übertragen wird, ohne den Gesamtumfang des von der Betreuung erfassten Aufgabenkreises zu erweitern oder zu beschränken.(Rn.15)


    die Entscheidung des LG Mainz wurde aufgehoben (wurde tatsächlich vor Rechtskraft veröffentlicht)

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    Außerdem möchte ich nicht verbrannt werden.

  • Anhand der Ausdrücklichkeit des BGH ab Rn. 20 bestand also bereits zuvor hierfür niemals daran Zweifel an der funktionellen Zuständigkeit des Rechtspflegers. Insoweit ist auch die Zügigkeit der Entscheidung von nicht einmal 8 Monaten ein Merkmal, dass sich der XII. Senat ziemlich schnell sicher war, dass das LG Mainz in der Sache sehr weit daneben lag.

  • ... "Vormünder, Ergänzungspfleger und Betreuer führen ihr Amt selbständig. Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls welche Geschäfte für den Vertretenen vorgenommen werden, obliegt primär dem gesetzlichen Vertreter. Das Gericht hat sich daher auf die Aufsicht und Unterstützung durch Beratung zu beschränken und darf abgesehen von bestimmten Ausnahmen nicht an Stelle des jeweiligen Amtsträgers handeln oder ihm über das Gesetz hinaus in Fragen, die seiner Entscheidung unterliegen, bindende Anweisungen erteilen." ... "Ein Einschreiten durch geeignete Gebote und Verbote kommt nach § 1837 Abs. 2 BGB nur bei Pflichtwidrigkeiten des gesetzlichen Vertreters in Betracht. Das Gericht darf daher Handlungen des gesetzlichen Vertreters aus reinen Zweckmäßigkeitgesichtspunkten nicht beanstanden." ... "Daraus folgt, dass die Entscheidung über die Erteilung oder Versagung der gerichtlichen Genehmigung keine Ermessensentscheidung, sondern eine gebundene Entscheidung ist. Das Gericht hat allein zu prüfen, ob der gesetzliche Vertreter nicht pflichtwidrig bzw. im Falle der elterlichen Sorge nicht kindeswohlgefährdend handelt." ... "In Fällen der Vormundschaft, Pflegschaft und Betreuung hat das Gericht -ebenfalls im Rahmen einer gebundenen Entscheidung- seine materiell-rechtliche Prüfung auf die Frage zu beschränken, ob der Vertreter bei dem zu genehmigenden Rechtsgeschäft nicht pflichtwidrig handelt." Pfleger 2017, 369 ff. ...

  • Hab den Aufatz im Rechtspflegerheft 07/17 erst überflogen.
    Ob ich den Ausführungen zu den Grundlagen der Genehmigungsfähigkeit folgen mag , kann ich daher noch nicht sagen.
    Insbesondere betrifft dies die offensichtlich vorgenommene Unterscheidung bei elterlicher Sorge und sonstigen gesetzlichen Vertretern.

  • Interessant sind m.E. die Ausführungen zum "Zwang in der Betreuung", und zwar auch dann wenn der Betreuer -auf Drängen des Betreuungsgerichts- Rechtshandlungen gegen den natürlichen Willen des Betroffenen vornimmt. Fröschle kommt zum Ergebnis, dass ein "entgegenstehender natürlicher Wille des Betreuten ausreicht, dem Betreuer die Hände zu binden" und verweist insoweit auf das OLG Schleswig (BtPrax 2008, 36).

    Interessant auch folgende Aussage:
    "Ich bin mir übrigens gar nicht mehr so sicher, ob es der Betreuer ist, den wir zur Gewaltanwendung gegen seinen Betreuten tatsächlich ermächtigen sollten. Ist das denn noch "Rechtsfürsorge" in privatrechtlicher Form oder entledigt sich der Staat hier nicht einer paternalistisch-ordnungsrechtlichen Aufgabe, für die er die Verantwortung selbst übernehmen sollte? Ist nicht das PsychKG der richtige Ort, Zwangsbehandlungen und Unterbringungen zur Gefahrenabwehr zu regeln?"

  • Die Ausführungen von Inoue (Rpfleger 2017, 369) überzeugen nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf die getroffene Unterscheidung zwischen Elternhandeln und dem Handeln anderer gesetzlicher Vertreter.

    Weit interessanter und praxistauglicher sind die neuesten Ausführungen von Zeiser (Rpfleger 2017, 429 - im Augustheft).

  • Abgesehen davon, daß ich den Aufsatz von Zeiser richtig klasse finde (logisch und verständlich formuliert), habe ich den Aufschrei aus der Praxis heute schon gehört: "Soll jetzt wirklich bei der Erbausschlagung wieder ein Ergänzungspfleger bestellt werden? Das dauert doch zu lange und ist viel zu umständlich." Das mit der Praxistauglichkeit sieht die Praxis offenbar partiell anders als Du... Meine Antwort war übrigens "Ja."

    Beginne den Tag mit einem Lächeln. Dann hast Du es hinter Dir. (Nico Semsrott)

    "Das Beste an der DDR war der Traum, den wir von ihr hatten." Herrmann Kant in einem Fernsehinterview

    Einmal editiert, zuletzt von FED (2. August 2017 um 20:53)

  • Zitat aus BGH, Beschluss vom 20. März 2019 - XII ZB 290/18 (Rn. 30):

    Zitat


    Ein gesetzgeberischer Wille, den Empfängern von Eingliederungshilfe bei jeder Sozialleistung den erhöhten Freibetrag des § 60 a SGB XII zuzubilligen, ist dagegen nicht ersichtlich. Dies zeigt auch die folgende Überlegung: Das vom Beschwerdegericht befürwortete Verständnis des § 60 a SGB XII würde dazu führen, dass Empfängern von Eingliederungshilfe seit dem Inkrafttreten des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch mit dieser Norm erstmals ein über § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII hinausgehender Vermögensfreibetrag hinsichtlich der Betreuervergütung zustünde, allerdings nur für die Dauer von insgesamt zwei Jahren bis zum Inkrafttreten der Reform des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch. Denn für die ab dem 1. Januar 2020 geltende Rechtslage ließe sich nicht vertreten, dass über die Verweisung in § 1836 c Nr. 2 BGB auf § 90 SGB XII auch der dann in § 139 SGB IX geregelte Freibetrag zur Anwendung kommen müsse. Eine solche "Verschlechterung" wäre vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen, der die Empfänger von Eingliederungshilfe - wenn auch nur in Bezug auf diese Leistungen - durch die Übergangsregelung gerade in den Genuss eines etwas höheren Schonbetrags bringen wollte, bevor sie ab dem 1. Januar 2020 ohnehin von einem nochmals erhöhten Freibetrag profitieren.

    Heißt das jetzt, dass wir ab 01.01.2020 nochmal neu schauen müssen? Oder fällt die Eingliederungshilfe weg (und damit auch etwaige Privilegien), da nach BTHG alle Leistungen zunächst wieder dem Betroffenen zugehen müssen und die Soziallleistungen nur die Lücken füllen?

    "Ändere die Welt, sie braucht es." Brecht

    K. Schiller: "Genossen, lasst die Tassen im Schrank"


    "Zu sagen, man müsste was sagen, ist gut. Abwägen ist gut, es wagen ist besser." Lothar Zenetti

  • LG Mühlhausen, Beschluss vom 13.11.2013 – 1 T 121/13
    Angesparte Opferentschädigungsrente unterfällt der Härtefallregelung des § 88 Abs. 3 SGB XII bei der Betreuervergütung.

    https://xn--rabro-mva.de/angesparte-opf…euerverguetung/

    vgl. hierzu auch Böhm/Marburger/Spanl, Betreuungsrecht Betreuungspraxis, Walhalla Verlag, 8. Auflage Seite 508

    Kann aus dem Rechtsprechungsthread hierher, da die ursprüngliche Entscheidung bereits 2014 dort erwähnt wurde.

    "Ändere die Welt, sie braucht es." Brecht

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    "Zu sagen, man müsste was sagen, ist gut. Abwägen ist gut, es wagen ist besser." Lothar Zenetti

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