Rechtsschutz für nachrangige Insolvenzgläubiger?

  • Die folgende eher ungewöhnliche Konstellation ist stark vereinfacht und zugespitzt. Auf die konkreten Zahlen und Umstände kommt es nicht an, sondern allein auf die abstrakte Rechtsfrage. Auf Eure Meinungen und Ideen bin ich sehr gespannt:

    Sachverhalt:
    - IN-Verfahren
    - einfache Insolvenzgläubiger: 3 Mio€
    - nachrangige Insolvenzgläubiger: 2 Mio€ (noch nicht zur Anmeldung aufgefordert, aber bekannt)
    - Verfahrenskosten: 1 Mio€
    - Insolvenzmasse: 4 Mio€ und ein streitiger Anspruch über 2 Mio€

    Der Insolvenzverwalter scheut den Rechtsstreit über die 2 Mio€ und will sich außergerichtlich auf 1 Mio€ vergleichen. Hierüber lässt er nach § 160 InsO die Gläubigerversammlung abstimmen. Die geladenen einfachen Insolvenzgläubiger erhalten in jedem Fall 100 %, so dass davon auszugehen ist, dass sie dem Vergleich zustimmen werden. Allerdings entfiele dann auf die nachrangigen Insolvenzgläubiger nur noch eine Quote von 50 % anstatt 100 % bei erfolgreicher Klage.

    Fragestellung: Welche rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten haben die Nachranggläubiger, sich an der Entscheidungsfindung der Gläubigerversammlung zu beteiligen bzw. dagegen vorzugehen? Mein erster Gedanke, ein eigenes Antragsrecht nach § 78 InsO, besteht zumindest dem Wortlaut nach nicht. Habt Ihr eine oder zwei Ideen?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Spielt das eine Rolle?

    Wenn alle § 38- Gläubiger zustimmen, könnten die § 39- Gläubiger doch abstimmen wie sie wollen.

    Außerdem, ich gehe mal davon aus, dass dies nicht Deine Intension ist, sind die Gläubigergruppen nicht unbedingt personenverschieden, wenigstens was § 39 I Nr. 1+ 2 InsO ausmacht. Ich gehe mal eher davon aus, dass Dein Augenmerk auf den Gesellschaftergläubiger gerichtet ist.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Ja, LFdC, es geht um einen Gesellschafter (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO).

    Danke Queen, aber muss man an dem reinen Gesetzeswortlaut haften oder kann nicht noch irgendwo etwas ausgelegt werden? ;) Die Diskriminierung der nachrangigen Gläubiger fußt ja laut Gesetzesbrgündung auf der Annahme, dass ihre Forderungen im Normalfall keinen wirtschaftlichen Wert verkörpern. Hier hingegen haben wir den Un-Normalfall: Vollbefriedigung der einfachen Insolvenzgläubiger. Soll tatsächlich auch in diesem Fall der Nachranggläubiger stimmlos und damit handlungsunfähig bleiben? Auch, wenn der TOP nur noch Auswirkungen auf seine Befriedigung hat?

    Habe hierzu gerade gefunden: Kübler/Prütting/Bork/Kübler, 75. EL März 2018, InsO § 77 Rn. 6: "Kein Stimmrecht haben dagegen gemäß Absatz 1 Satz 2 die nachrangigen Insolvenzgläubiger des § 39. Der Grund für den Ausschluss dieser Gläubigergruppe liegt darin, dass deren Forderungen in der Regel kein wirtschaftlicher Wert zukommt. Trotz des eindeutigen Wortlauts ist den nachrangigen Gläubigern ein Stimmrecht zuzubilligen, wenn mit ihrer (teilweisen) Befriedigung zu rechnen ist, was z. B. der Fall sein kann, wenn es nur wenige Gläubiger i. S. d. § 38 gibt, der Großteil vielmehr vertraglich nachrangige Genussrechtsgläubiger sind." Vielleicht ein Anfang?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • ...ähnlich argumentiert auch Schröder in ZInsO 2014, 2069, 2071: Ausnahmsweise sollen auch die nachrangigen Gläubiger ein Stimmrecht haben, wenn die Masse zur Befriedigung der nicht-nachrangigen Gläubiger ausreicht und noch ein Überschuss verbleibt. Zumal die einfachen Gläubiger schon durch die Befriedigungsreihenfolge hinreichend geschützt sind.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Mag sein, aber was würde dies an der StimmrechtsKonstellation ändern?

    Allerdings gebe ich Dir recht. Auch in den Fällen, wo von einem Dritten Geld kommt, können die Beschwerde gegen die Vergütungsansprüche erheben, wenn dadurch Ihre Belange berührt werden.

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • Im ersten Moment hätte ich das ja wie Du gesehen. Kann ja irgendwie nicht sein, dass die, die es letztlich betrifft, nicht mit abstimmen können. Aber auf der anderen Seite: wenn der Rechtstreit möglicherweise nur Masseverbindlichkeiten decken würde, würde man ja auch nicht die Massegläubiger als stimmberechtigt sehen.

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • Noch weitergehend könnte man sogar an ein Stimmrecht des Insolvenzschuldners denken: Im obigen Beispielsfall etwa, wenn sich die Nachrangforderungen nur auf 1 Mio€ belaufen.

    Dann würde die Masse sogar die Nachranggläubiger abdecken und der verleibende Rest müsste nach Verteilung an den Insolvenzschuldner ausgekehrt werden. Damit würde aber auch eine Abstimmung über einen Vergleich, bei der letztlich auch über die Höhe des für den Insolvenzschuldner verbleibenden Restes entschieden würde, diesen betreffen.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Noch weitergehend könnte man sogar an ein Stimmrecht des Insolvenzschuldners denken: Im obigen Beispielsfall etwa, wenn sich die Nachrangforderungen nur auf 1 Mio€ belaufen.

    Dann würde die Masse sogar die Nachranggläubiger abdecken und der verleibende Rest müsste nach Verteilung an den Insolvenzschuldner ausgekehrt werden. Damit würde aber auch eine Abstimmung über einen Vergleich, bei der letztlich auch über die Höhe des für den Insolvenzschuldner verbleibenden Restes entschieden würde, diesen betreffen.


    Mit wievielen Stimmrechtsanteilen denn? :gruebel::gruebel: In Höhe des Betrages, der bei einer Realisierung zu 100% beim Schuldner verbleiben würde?

    [SIGPIC] [/SIGPIC] Vertrauue miiir (Kaa: Das Dschungelbuch, 4. Akt, 3. Szene)

  • spannende Frage ! Ich würde den nachrangigen Gläubigern nur dann ein Stimmrecht zubilligen, wenn alle 38'er befriedigt wären. Der Vergleich mit dem Schuldner hinkt !.... Wenn die 39'er auch befriedigt wären, bin ich in der insolvenzrechtlichen Verteilung entsprechend gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen, das ist aber eine andere Geschichte....

    herrschendes Recht ist das Recht der herrschenden
    Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern! (K.M.)
    Ich weiß, dass ich nicht weiß (Sokrates zugeschrieben); jeder der mein Wissen erfolgreich erweitert, verbreitert mein Haftungsrisiko (nicht sokrates, nur ich)
    legalize erdbeereis
    :daumenrau

  • Die Sache ist tatsächlich sehr spannend und nicht abschließend durchdacht, weder vom Gesetzgeber noch vom aktuell betroffenen Insolvenzgericht.

    Und der Schuldner ist in meiner Konstellation ein Einzelkaufmann, also fällt ihm jeder überschüssige Cent nach Verteilung persönlich zu (§ 199 S. 1 InsO). Daher wird durch die Gläubigerversammlung auch über das ihm verbleibende Vermögen entschieden. Stichwort: Verbot der Übermaßvollstreckung. Der Schuldner darf nicht mehr belastet werden, als zur Befriedigung seiner Gläubiger erforderlich ist.

    Ein solches geschütztes Interesse des Schuldners dürfte auch das Leitbild des BGH sein, der etwa formuliert: "die Pflicht zur bestmöglichen Erhaltung und Verwertung der Insolvenzmasse (…) obliegt dem Verwalter nicht nur gegenüber den Insolvenzgläubigern, sondern auch und gerade gegenüber dem Schuldner (…), der ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, den Umfang seiner Nachhaftung (…) möglichst zu begrenzen oder sogar einen Überschuss ausgezahlt zu erhalten (…)" (BGH, Urt. v. 16.07.2015 - IX ZR 127/14, Rn. 8).

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Warum sollte das denn nicht vom betroffenen Inso-Gericht durchdacht sein? Die Stimmrechte sind doch nie „gerecht“:
    Massegläubiger und nachrangig und Schuldner haben nun mal keines, auch wenn sie betroffen sind. Absonderungsberechtigte haben doch auch immer in voller Höhe ein Stimmrecht, obwohl sie vielleicht gar kein Ausfall haben. Ist das gerecht und durchdacht? Eigentlich ja, weil man all diese Diskussionen um Stimmrechte möglichst einfach halten wollte. Jedenfalls müssen ja die Diskussionen um Stimmrechte hinsichtlich des tatsächlichen Ausfalls im Konkursrecht den Gesetzgeber zu solchen Regelungen bewogen haben.

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • "Gerechtigkeit" suche ich nicht mehr, dafür bin ich schon zu lange als Anwalt tätig. ;)

    An dem Vergleich mit dem Stimmrecht absonderungsberechtigter Gläubiger ist sicher etwas dran. Aber meinst Du, dass der Gesetzgeber bei seinen Überlegungen zum Stimmrecht auch den Fall der überschießenden Masse hinreichend berücksichtigt hat? Dieser absolute Ausnahmefall ist überhaupt nur an wenigen Ecken der InsO geregelt (§ 199 InsO, § 174 Abs. 3 InsO).

    Ich meine, dass für diesen Fall die Interessen von Nachranggläubigern und Insolvenzschuldnern nicht in die Überlegungen aufgenommen wurden. Welche Möglichkeit hat denn ein Nachranggläubiger oder Insolvenzschuldner, wenn aufgrund einer Entscheidung der Gläubigerversammlung seine Quote bzw. der Übererlös wegfällt? § 78 InsO analog? Schadensersatzanspruch gegen die abstimmenden Insolvenzgläubiger? Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO i.V.m. § 199 InsO?

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Da gebe ich Dir vollkommen Recht. Diesen Fall hat der Gesetzgeber wahrscheinlich nicht berücksichtigt in den Überlegungen. Ich denke auch, das ist ein Fall, wo es kein richtig oder falsch gibt. "Gerechter" wäre es sicherlich, die nachrangigen Gläubiger und gar den Schuldner in die Abstimmung mit einzubeziehen. Ich sage ganz ehrlich, ich würde es machen, denn was soll schon passieren? Und vielleicht gibt es eine einmütige Einigung. War das im nachhinein falsch, ist der Beschluss einfach null und nichtig.
    Auf der anderen Seite muss man eben sagen, wenn in einem normalen Verfahren Absonderungsberechtigte dabei sind, können die ja auch alles bestimmen, ohne selbst davon zu profitieren oder ein Nachteil zu haben. Insofern kann man formal natürlich auch sagen, es ist halt so gewollt.

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • Danke fürs Mitdenken und Deine Einschätzung.

    Die Angelegenheit ist auch aus anderen Gründen sehr heikel und zieht sehr weite Kreise. Da hilft mir jede Wortmeldung von den erfahrenen Insolvenzrechtlern im Forum.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Danke fürs Mitdenken und Deine Einschätzung.

    Die Angelegenheit ist auch aus anderen Gründen sehr heikel und zieht sehr weite Kreise. Da hilft mir jede Wortmeldung von den erfahrenen Insolvenzrechtlern im Forum.

    Uij, dann mache ich lieber den Franz Beckenbauer und sage: "was interessiert mich mein Geschwätz von eben" und würde wahrscheinlich doch den formalen Weg gehen. Kein Stimmrecht in der Versammlung. Dann können die ja noch eine andere Festsetzung durch den Richter beantragen. Und danach im Notfall einen Antrag nach § 78 InsO stellen und der geht dann möglicherweise bis zum BGH und dann wissen wir alle Bescheid, wie es dann laufen soll ;)...

    ---------------------------------------------
    " Die Titanic wurde von Profis erbaut... Die Arche Noah aber von 'nem Amateur. Verstehen Sie, was ich meine?" (Bernd Stromberg)

  • Sind denn in Deinem Fall die 144er Ansprüche des Anfechtungsgegners schon angemeldet und berücksicht oder würde sich dadurch etwas ändern?

  • Der streitige Anspruch beruht ausnahmsweise mal nicht auf Insolvenzanfechtung und begründet keine Nachforderung. ;) Und ich bin diesmal auf Seiten der Nachrang-Gläubiger bzw. des Schuldners tätig.

    Es wäre dumm zu versuchen, an Gesetzen des Lebens zu drehn. (Peter Cornelius in: Segel im Wind)

  • Wie geht denn der Verwalter damit um? Schliesslich droht ihm doch die spätere Inanspruchnahme aus § 60 InsO durch den Nachranggläubiger.

    Vielleicht kann man die 38er Gläubiger ja auch im Hinblick auf ihre nachrangigen Zinsforderungen davon überzeugen, dem Vergleich nicht zuzustimmen. Könnte ja zumindest beim FA mit sechs Prozent Verzinsung p.a. durchaus ein Betrag im Spiel sein, der den Bezirksrevisor interessiert.

    Ansonsten bliebe Dir ja nur die Krawallnummer. Du müsstest wohl im Termin erscheinen, den Antrag nach § 18 III RPflg stellen und im Anschluss vorosorglich noch einen Antrag nach § 78 InsO hinterher schieben. Gleichzeitig kannst Du natürlich großspurig allen Anwesenden eine spätere Inanspruchnahme in Aussicht stellen und eine Verfassungsbeschwerde ankündigen. Ggf. kannst Du vorher auch schon den Rechtspfleger zur Aufforderung zur Anmeldung der Nachrangforderungen bewegen.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!